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Lunch mit Star-Pianist Seong-Jin Cho

Ein Artikel von Petra Winter
31 März 2025

Seong-Jin Cho ist einer der besten Pianisten der Welt und seit diesem Jahr Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern. (Illustration: Eva Jakob)
Seong-Jin Cho ist einer der besten Pianisten der Welt und seit diesem Jahr Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern. (Illustration: Eva Jakob)

Bei Tofu-Eintopf mit Austern und Reisschnaps sprechen wir mit dem koreanischen Star-Pianisten über Stereotype, K-Pop und Klassik

Das Restaurant, in dem wir uns treffen, ist sehr weit entfernt von den üblichen Künstler-Hubs Berlins, dem Sehen und Gesehen werden eines „Borchardt“ oder „Grill Royal“. Seong-Jin Cho hat sich für unser Treffen das „Seoul Kwan“ in Steglitz ausgesucht, weil es ein sehr traditionelles koreanisches Restaurant ist, eines der ersten überhaupt in der Hauptstadt. Mit den Baugerüsten vor der Fassade ist es gar nicht so leicht zu finden, stelle ich bei meiner Ankunft fest und betrete einen quirligen Gastraum mit viel hellem Holz, einer langen Bar und sehr bunt gemischtem Publikum: Mütter aus der Nachbarschaft mit ihren Töchtern, eine große Runde älterer, offenbar koreanischer Damen, Pärchen, die nach dem Einkauf noch schnell etwas Gutes essen wollen.

Seong-Jin Cho, in klein kariertem blauem Hemd und Chinos, macht kein Aufheben beim Hereinkommen. Der Gastwirt begrüßt ihn höflich, aber ohne Fraternisierungsgebaren. Nachdem auch wir uns begrüßt haben und er einen Blick auf die Karte geworfen hat, steht Cho noch einmal auf, um sich eine koreanische Version geben zu lassen. Und ich übergebe spätestens jetzt die kulinarische Verantwortung an meinen Interviewgast.

Er fragt höflich, welche Vorlieben und Abneigungen ich habe und bestellt dann zunächst Soju für uns, eine koreanische Reis-Spirituose, dem Reiswein im Geschmack ähnlich, aber etwas hochprozentiger. Als Speisen hat er sich für Gul bossam und Sundubu Jigae entschieden. Das „Star-Gericht“ und wahrhaft üppig, wie ich gleich feststellen werde, ist das Gul bossam, ein Schweinsbraten, Carpaccio-ähnlich in dünne Scheiben geschnitten, die in einer Brühe aus Knoblauch, Ingwer und Zwiebeln gegart werden. Dazu werden verschiedene Sorten Kimchi und Reis gereicht.

Sundubu Jigae wiederum, erklärt er jetzt, ist ein Eintopf mit extra weichem Tofu, Gemüse und Austern, leicht scharf. Er entschuldigt sich schüchtern, dass er an diesem Ort noch nie mit einem Deutschen gewesen sei und dass er hoffe, ich möge seine Auswahl.

„Hier war ich noch nie mit deutschen Freunden, nur mit Koreanern. Ich komme her, wenn ich wirklich Sehnsucht nach der Küche meiner Heimat Seoul habe. Alles ist sehr authentisch und familiär.“(Foto: Seoul Kwan)
„Hier war ich noch nie mit deutschen Freunden, nur mit Koreanern. Ich komme her, wenn ich wirklich Sehnsucht nach der Küche meiner Heimat Seoul habe. Alles ist sehr authentisch und familiär.“(Foto: Seoul Kwan)

Seong-Jin Cho ist einer der besten Pianisten der Welt und seit diesem Jahr Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern. Eine große Ehre sei das, sagt er, darum ist Berlin gerade sein fester Wohnsitz. Geboren wurde er in Seoul, dort begann er mit sechs Jahren Klavier zu spielen. Sein Talent brachte ihn dann, mit knapp 20 Jahren, in alle großen Konzerthäuser der Welt, vom Concertgebouw in Amsterdam über die Royal Albert Hall in London bis in die Carnegie Hall nach New York.

Das „Wall Street Journal“ bescheinigt ihm eine „beeindruckende Varianz seiner tonalen Koloratur, eine bemerkenswerte Technik, vorgetragen mit atemberaubendem Schwung“. Ein Showmaster wie sein chinesischer Pianistenkollege Lang Lang, sicher der bekannteste Performer seines Fachs, ist Cho dagegen nicht. Er wirkt in sich versunken bei seinem Spiel. Später wird er sagen, dass er eine Allergie gegen Mikrofone habe und nicht gern vor anderen spreche. Er lässt lieber seine Musik für sich sprechen.

Nachdem er bestellt hat, erfahre ich, dass er am folgenden Tag zum Grenada-Festival fliegen wird und tags zuvor aus seiner Heimat Seoul zurückgekommen ist. Trotzdem wirkt er frisch und ausgeruht, und dies bei einem Pensum von 100 Konzerten und 200 Reisetagen jährlich. Er erzählt dann, wie alles begann. Bereits sechs Monate nachdem er als Sechsjähriger an einer Musikschule mit dem Klavierspiel begonnen hatte, teilte man seinen Eltern mit, dass er „a little bit talented“ sei. Es folgte eine Kunstschule, an der auch Tanz und Malerei unterrichtet wurden.

Klassik sei von Anfang an sein Ding gewesen. „Für Jazz muss man sehr gut
improvisieren können“
, sagt der 30-Jährige und nimmt einen Schluck Soju. „Ich war immer besser im Interpretieren.“ Ab dem Alter von zehn Jahren war sein Übungspensum zwei Stunden täglich, Violine spielte er wie ein Hobby nebenbei. „Meine Lehrerin war sehr ehrgeizig“, flüstert er fast. „Sie wollte, dass ich schon früh an Wettbewerben teilnehme, darum musste ich immer am Ball bleiben.“ Mit elf trat er zum ersten Mal vor einem großen Publikum auf. „Ich war nervös, aber ich fühlte mich auf der Bühne schon immer wohl. Obwohl ich ein sehr introvertiertes Kind war, machte die Bühne mich freier.“

„Die Osteria Centrale in Charlottenburg ist für mich der beste Italiener in Berlin, so schön lebendig und lauter Lieblingsgerichte auf der Karte. Da gehe ich gern mit Freunden hin.“(Foto: Osteria Centrale)
„Die Osteria Centrale in Charlottenburg ist für mich der beste Italiener in Berlin, so schön lebendig und lauter Lieblingsgerichte auf der Karte. Da gehe ich gern mit Freunden hin.“(Foto: Osteria Centrale)

Musik, das war klar, sollte immer Teil seines Lebens sein, über eine Alternative habe er nie nachgedacht. „Wenn ich als Solist nicht erfolgreich geworden wäre, hätte ich mir eine andere Aufgabe in der Musik gesucht.“ Sein Durchbruch war der Gewinn der Chopin International Competition in Warschau 2015, ein Sesam-öffne-Dich für die renommierten Konzerthäuser weltweit.

Auf seinen Tourneen kann er sehen, dass das asiatische Klassikpublikum deutlich jünger ist als das europäische: in den 30er und 40ern gegenüber den manchmal fast doppelt so alten Europäern. „Vielleicht liegt das daran, dass Asiaten keine so stereotypen Vorstellungen von klassischer Musik haben“, überlegt er jetzt, während die ersten Tellerchen mit Kimchi, fermentiertem Gemüse und andere kleine Snacks auf dem kleinen Tisch drapiert werden. „Bei uns gibt es keine Grenze zwischen der Liebe zu Klassik und K-Pop. Hier scheint man eher anzunehmen, dass Klassik nur was für Ältere sei.“

Ist vielleicht auch die Begeisterung für klassische Musik Teil eines ehrgeizigen Bildungssystem seiner Heimat, frage ich, während wir von den Beilagentellern naschen. Südkorea landet in der Pisa-Studie regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Er antwortet nicht direkt, sondern erzählt von seinen Großeltern: „Sie waren wirklich arm. Sie haben hart gearbeitet, um aufzusteigen und einen gewissen Wohlstand zu erreichen.“ Dieser Hintergrund mache die Atmosphäre in Südkorea sehr kompetitiv. Innovation, Kreativität und Wandel seien ein ständiger Begleiter, eine Notwendigkeit, um in seinem Land, seiner Heimatstadt Seoul, voranzukommen. „Ziemlich stressig, aber auch spannend.“

„Im Café Mugrabi in Kreuzberg esse ich immer Hummus und Shakshuka, ein israelisches Frühstücksgericht, das aber auch zum Mittagessen reicht.“(Foto: Café Mugrabi)
„Im Café Mugrabi in Kreuzberg esse ich immer Hummus und Shakshuka, ein israelisches Frühstücksgericht, das aber auch zum Mittagessen reicht.“(Foto: Café Mugrabi)

Nach Europa kam Seong-Jin Cho, weil hier die Ursprünge klassischer Musik liegen. Zunächst ging es für fünf Jahre nach Paris. Dort habe er feststellen müssen, dass die Franzosen dazu neigen, immer gegen alles zu sein, sich aufzulehnen. Für ihn, den Introvertierten, sei das eine ganz gute Schule gewesen. „Wenn man sich nicht beschwert, kommt man in Paris nicht weiter. Ich bin also etwas selbstbewusster geworden“, lächelt er. Dann ging es weiter nach Deutschland, nach Berlin, eine ganz andere Mentalität, die des Respekts, beobachtet er seitdem.

„Was der Chef sagt, wird auch gemacht.“ Deutschland habe auf seiner Wunschliste gestanden, weil es die Heimat von Beethoven, Bach, Brahms, Schumann ist. Aber auch, weil er viele Freunde aus dem Klassikbetrieb hier hat, die meisten seien allerdings mittlerweile weitergezogen. Und noch ein Grund: die vielen großartigen Orchester. Als Artist in Residence der Philharmoniker wird er von Kirill Petrenko dirigiert, den er sehr bewundert. „Er ist einer der besten, ein leidenschaftlicher Musiker, es ist eine Ehre, mit ihm zu arbeiten, weil ich in jeder Probe etwas Neues lerne von ihm.“

Das Repertoire von Seong-Jin Cho ist weit gefächert: Brahms, Beethoven, Chopin, Debussy – seine Vorlieben änderten sich von Jahr zu Jahr. Er gehe da wenig strategisch vor, sagt er, während wir uns an dem Eintopf bedienen und den seidenweichen Tofu auf der Zunge zergehen lassen. Die feine Schärfe und das Knoblaucharoma des Sundubu Jigae sind gekonnt ausbalanciert. „Meine Auswahl ist eher stimmungsabhängig.“

Sein kommendes Album wird sich um das 150-jährige Jubiläum Maurice Ravels drehen. „Er ist so ein Perfektionist. Ich mag die Sinnlichkeit, Farbenfreude, Harmonie und Zerbrechlichkeit seiner Kompositionen. Das Gegenteil von Steifheit, was Perfektion ja manchmal auch sein kann.“

"Eigentlich bin ich introvertiert. Aber die Bühne macht mich freier." Foto: Christopher Koestlin
"Eigentlich bin ich introvertiert. Aber die Bühne macht mich freier." Foto: Christopher Koestlin

Am Nachbartisch wird viel gelacht, die Stimmung im Lokal wird ausgelassener und seine leise Stimme immer schwerer herauszuhören. Seong-Jin Cho erzählt, dass Essengehen seine liebste Beschäftigung außerhalb der Musik sei. Auch das Gul bossam wird jetzt serviert, wir schieben alles zusammen, damit die große Platte auch noch Platz hat. Am Tisch schneidet die Kellnerin das Fleisch mit einer Schere noch einmal in kleinere Stücke, optimal für das Essen mit Stäbchen. Die Portion ist riesig, und wir werden am Ende nur einen kleinen Teil davon geschafft haben, den Cho sich gern hätte einpacken lassen, wäre er am nächsten Tag nicht schon wieder auf dem Weg nach Spanien gewesen. Er schenkt mir immer wieder von dem Soju, dem Reisschnaps nach, der wunderbar mit den Speisen harmoniert.

Zwischendurch fragt er leicht besorgt nach, ob mir auch alles schmecke und macht mir ein Kompliment, wie ich meine Stäbchen handhabe. Wir haben mitnichten alles aufgegessen, doch es gibt noch viel zu tun vor seiner Abreise.

Noch eine letzte Frage: Wie umalles in der Welt schaffen es klassische Musiker, ellenlange Stücke auswendig zu spielen? Er lacht. Die Frage habe man ihm schon so oft gestellt: „Wenn man ein Stück monatelang einstudiert – ich brauche in der Regel zwei Monate, bis ein Stück konzertreif ist –, erinnern sich die Muskeln in den Händen automatisch daran, welche Taste als nächstes gespielt wird“, erklärt er. Man spiele deswegen nicht besser, weil man es auswendig könne, aber er fühle sich freier so.

Geboren am 28. Mai 1994 in Seoul. Im Alter von sechs Jahren begann er dort mit der musikalischen Ausbildung am Klavier. Cho gewann 2015 die International Chopin Competition in Warschau. Zuvor studierte er drei Jahre in Paris. (Foto: Christopher Koestlin)
Geboren am 28. Mai 1994 in Seoul. Im Alter von sechs Jahren begann er dort mit der musikalischen Ausbildung am Klavier. Cho gewann 2015 die International Chopin Competition in Warschau. Zuvor studierte er drei Jahre in Paris. (Foto: Christopher Koestlin)

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