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Lunch mit Pianistin Khatia Buniatishvili

Ein Artikel von Petra Winter
21 Apr. 2025

"Ich war immer gut darin, mein Glück zu finden, weil ich davon überzeugt bin, dass wer Disziplin hat, auch Freiheit findet.“ (Illustration: Eva Jakob)
"Ich war immer gut darin, mein Glück zu finden, weil ich davon überzeugt bin, dass wer Disziplin hat, auch Freiheit findet.“ (Illustration: Eva Jakob)

In Venedig sprechen wir mit der Pianistin über Disziplin und Freiheit, Ego und Fantasie

Das Wasser glitzert auf dem Canal Grande und schimmert hoch bis an die Fassaden der Barock- und Renaissance-Palazzi. Vom Hotel „The Gritti Palace“, in dem wir beide untergebracht sind, geht es per Boot zum „The Venice Venice“ mit Blick auf die Rialto-Brücke. Francesca Rinaldo und Alessandro Gallo, die Gründer der Sneaker-Brand Golden Goose, haben den byzantinischen Palazzo aus dem 13. Jahrhundert vor einem Jahr in ein Hotel und Restaurant umgewandelt. Hier speisen wir heute, Khatia Buniatishvili und ich, in einer größeren Gruppe auf Einladung von Cartier. Die Schmuck-Maison feiert einmal im Jahr Filmstars und Künstlerinnen in der Lagunenstadt. Und es wird reich aufgetischt: Austern, Burrata auf Radicchio, Mini-Käse-Schinken-Sandwiches als Starter, gefolgt von Taschenkrebs, Safran-Risotto und „Venezian Style Stockfish“, zum Abschluss ein leichtes Zitronen-Sorbetto auf Mango-Spiegel. Weil es zwischen den rohen Backsteinmauern und unter den Murano-Kronleuchtern viel zu laut ist, um unser Gespräch à deux zu führen, verschieben wir es auf den Nachmittag in die illustre Bar des „Gritti Palace“.

Lächelnd und aufgeräumt sitzt die Star-Pianistin nun vor mir auf einem grünen, gemusterten Seidensofa und gespiegelt in venezianischen Wandverkleidungen. Sie trägt ein schwarzes Samtkleid mit Spaghettiträgern und Spitzenbordüre am Dekolleté, silberne Glitzersandalen mit hohem Absatz, die sich um ihre Fesseln schlingen, und dezenten Cartier-Schmuck: eine goldene „Tank“-Watch, einen „Trinity“-Ring und ein „Trinity“-Collier.

Rosé steht für Liebe, Gelb für Freundschaft und Weiß für Loyalität: Der „Trinity“ von Cartier ist ein schönes Symbol.
Rosé steht für Liebe, Gelb für Freundschaft und Weiß für Loyalität: Der „Trinity“ von Cartier ist ein schönes Symbol.

„Ich mag Mode, aber gehe ungern shoppen, das erledigt meine Mutter für mich. Sie trifft eine Vorauswahl, und ich suche dann aus, was meinem Stil entspricht“, lacht sie mit rot geschminkten Lippen und sagt, dass sie noch schnell, oben in ihrer Suite, ihre jetzt 15 Monate alte Tochter gestillt habe. Charlotte heißt das Mädchen, weil ihr Charlotte aus Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ so gefallen habe – und auch die englische Schriftstellerin Charlotte Brontë.

„Ich mag die Ästhetik des 19. Jahrhunderts in Europa“, ergänzt sie jetzt auf Deutsch und bietet an, dass wir das Interview auch komplett auf Deutsch führen können.
Geboren ist Buniatishvili in Georgien. Vor 20 Jahren erkannte der russische Pianist Oleg Maisenberg ihr Talent und bildete sie dann an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien weiter aus, wo sie vier Jahre lebte. Heute ist ihre Heimat Montreux in der Schweiz und Paris.

„Ich schätze Deutsch sehr und möchte es nicht verlernen. Es ist eine so reiche Sprache, weil man in einem Wort so viele Wörter unterbringen kann“, lächelt die 37-Jährige. Insofern sei sie der georgischen anverwandt. Sie liebt die unendlich langen
Phrasen von Thomas Mann. Und Nietzsches Notizen, die habe sie sogar im Original gelesen.

„Ich liebe Isabelle Huppert, besonders in ihrer Rolle als „Madame Bovary“ und in „Eine Frauensache“ von 1988. (Foto: Samuel Goldwyn Pictures/Courtesy Everett Collection/ddp)
„Ich liebe Isabelle Huppert, besonders in ihrer Rolle als „Madame Bovary“ und in „Eine Frauensache“ von 1988. (Foto: Samuel Goldwyn Pictures/Courtesy Everett Collection/ddp)

Vor zwei Jahren konnte ich die Pianistin mit dem Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll von Tschaikowsky spielen hören – ebenfalls in Venedig – und war beeindruckt von ihrer emotionalen Performance. Sie war die perfekte Interpretin für das vom Komponisten vorgesehene Drama des Stücks. Bevor sie ihre Tochter bekam, spielte sie etwa 100 Konzerte im Jahr, jetzt hat sie das Tempo reduziert. Nach Venedig kommt sie dennoch immer wieder gern: „Es ist banal zu sagen, dass Venedig zauberhaft ist. In dieser Banalität liegt aber auch das Originelle. Erst wenn man mehrfach hier war, kann man alle Details sehen. Jede Straße ist ein Museum, man muss also eigentlich gar nicht ins Museum gehen.“ Mit Venedig verbindet sie auch die Liebe zum Film, bei den Festspielen ist sie schon vier Mal gewesen. „Die schönste aller Künste“, findet sie, „weil der Film so viele Künste in sich vereint.“ Diesmal ist die Pianistin mit ihrer Mutter und Schwester hier. Sie helfen mit dem Baby. „Charlotte ist für uns alle der Grund, warum wir leben, für uns alle
das Wichtigste. Sie kann sich immer wie zu Hause fühlen, weil sie ihre wichtigsten Menschen um sich hat.“

Khatias Mutter ist ebenfalls Pianistin. „Sie hat das nie professionell gemacht, war aber meine erste Lehrerin“, erzählt sie, und dass ihre Mutter das absolute Gehör habe. Sie habe ursprünglich Informatik studiert, aber nie in diesem Beruf gearbeitet, weil sie bei den Kindern bleiben wollte. „Meine Schwester und ich waren im Kindergarten nicht glücklich, es waren die 90er in Georgien und das System noch sehr sowjetrussisch geprägt, keine gute Umgebung für Kinder.“ Trotzdem habe sie es bedauerlich gefunden, dass ihre begabte Mutter sich nicht auch für sich habe entfalten können, einen Raum nur für sich gestaltet habe. „Ich bin Feministin, finde aber nicht, dass wir werden sollten wie Männer, sondern dass Männer von uns lernen können: sensibel und stark zugleich zu sein.“

Es war ihre Mutter, die wollte, dass die Töchter Musikerinnen werden. „Ich hatte Glück, dass ich es auch mochte, habe es mir aber gar nicht selbst ausgesucht. Ich war immer gut darin, mein Glück zu finden, weil ich davon überzeugt bin, dass wer Disziplin hat, auch Freiheit findet.“ Durchhalten, auch unter ungünstigen Bedingungen, das hat Khatia Buniatishvili im Georgien der 90er-Jahre gelernt: „Die Übungsräume und auch Konzerthallen waren oft ungeheizt, die Finger taten weh vor Kälte. Aber meine Mutter sagte immer: ,Du musst auch spielen können, wenn du an einem Seil von der Decke hängst.‘“

Drei Farben Blau von Krzysztof Kieslowski: Danach wollte ich alles von ihm sehen, „Dekalog“ zum Beispiel. Seine Filme hinterlassen ein tiefes, schmerzhaftes Gefühl, das ich sonst nur bei Dostojewski empfinde.“ (Foto: AJ Pics/Alamy Stock Photo)
Drei Farben Blau von Krzysztof Kieslowski: Danach wollte ich alles von ihm sehen, „Dekalog“ zum Beispiel. Seine Filme hinterlassen ein tiefes, schmerzhaftes Gefühl, das ich sonst nur bei Dostojewski empfinde.“ (Foto: AJ Pics/Alamy Stock Photo)

Sie habe sich oft in ihre Fantasie zurückgezogen, sich in ihren Gedanken immer wohler gefühlt als draußen, bei den anderen Kindern. „Das hat mich eher angestrengt.“ Wenn sie sich bei den ewig wiederholten Klavier-Etüden mal gelangweilt habe, habe sie immer ein Buch hinter den Noten versteckt, um während des Spielens heimlich zu lesen. „Ich brauchte etwas mehr Adrenalin und ich liebe Drama und Geschichten.“ Sie plant, ihrer eigenen Tochter eine große Bandbreite an Optionen zu bieten, damit diese später selbst wählen könne, wo ihr Glück liege.

Ihre Konzertprogramme stellt Khatia schon längst ohne die Vorgaben der Veranstalter zusammen. „Eine begabte Pianistin muss alles spielen können – so wie Picasso alles malen konnte – und sich dann für das entscheiden, was ihr entspricht“, sagt sie und nimmt einen Schluck Wasser. Kaffee hatte sie abgelehnt, weil sich das Koffein mit dem Stillen nicht verträgt. „Ich spiele ab und zu mehrere Stücke hintereinander durch, ein Mono-Spektakel mit verschiedenen Komponisten, kleine geniale Lieder von Schubert und Bach zum Beispiel. Überlasse es aber dem Publikum, wann es klatschen möchte. Da bin ich nicht so streng.“ Früher sei so etwas nicht gegangen, die Konzertveranstalter seien dagegen gewesen. Dank ihrer intensiven Ausbildung und Erfahrung sei sie heute freier. „Ich erlaube mir, mich zu genießen.“

Zuletzt in ihr Repertoire aufgenommen hat sie Sonaten von Mozart, die No. 20 und 23. Aus ihrer Heimat Georgien stammt einer ihrer liebsten zeitgenössischen Komponisten, Gija Kantscheli. „Er hat auch Filmmusik gemacht. Auf meinem Album ,Motherland‘ habe ich ein Stück von ihm aus dem Film ,When Almonds Blossomed‘ aufgenommen.“

Buniatishvili beobachtet, dass heute der Zugang zu klassischer Musik oft
perfektionistisch ist, weniger individualistisch als im 20. Jahrhundert mit Karajan, Callas, Gould oder Horowitz. „Da haben die Dirigenten und Solisten die Musik sehr persönlich interpretiert, heute geht es mehr um technische Perfektion. Aufnahmen von früher klangen fast wie Live-Konzerte, weil jeder einen
so einprägsamen eigenen Stil hatte.“
Ihr sei heute wichtig, dass es menschlich passe, wenn sie mit einem Dirigenten und Orchester zusammenspiele.

Zubin Mehta fällt ihr ein, einer, wo alles passe. Zu seinem 80. Geburtstag vor acht Jahren feierte sie ihn zusammen mit dem Israel Philarmonic Orchestra mit Tschaikowskys 1. Klavierkonzert. „Wenn alles perfekt ist, geht es nicht um das eigene Ego. Manchmal bin ich der Schatten, manchmal führe ich. Konflikte sind da schlecht, es sei denn, die Musik sieht sie vor.“

Ästhetik, Kunst, aber auch Menschenrechte, Gleichheit, Freiheit sind ihr wichtig. Darum lebe sie heute in Frankreich und der Schweiz. „Ich finde, dass auch Männer nicht frei sein können, wenn Frauen als weniger wichtig oder wertvoll angesehen werden. Wenn sie alles kontrollieren müssen, ist das anstrengend. Anderen Freiheiten zu gewähren, macht einen selbst frei.“

Geboren am 21. Juni 1987 in Batumi, Georgien. Mit drei Jahren begann sie, Klavier zu spielen, ab 15 Jahren war sie am staatlichen Konservatorium in Tiflis. Sie gewann verschiedene Auszeichnungen, u. a. mehrfach den Echo Klassik, und studierte in Wien.
Geboren am 21. Juni 1987 in Batumi, Georgien. Mit drei Jahren begann sie, Klavier zu spielen, ab 15 Jahren war sie am staatlichen Konservatorium in Tiflis. Sie gewann verschiedene Auszeichnungen, u. a. mehrfach den Echo Klassik, und studierte in Wien.
PETRA WINTER erfuhr, dass auch eine Star-Pianistin sehr gut die Pedale des Klaviers mit High Heels bedienen kann. „Selbst Plattform-Schuhe gehen, kein Problem, ich trage auch bei Konzerten alles bis zu zwölf Zentimetern Absatz.“
PETRA WINTER erfuhr, dass auch eine Star-Pianistin sehr gut die Pedale des Klaviers mit High Heels bedienen kann. „Selbst Plattform-Schuhe gehen, kein Problem, ich trage auch bei Konzerten alles bis zu zwölf Zentimetern Absatz.“