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Zum Muttertag: How to raise a Boy Teil 2

Ein Essay von Kerstin Holzer
12 Mai 2024

Die Erziehung eines Jungen (Foto: ClassicStock / Alamy Stock Photo)
Die Erziehung eines Jungen (Foto: ClassicStock / Alamy Stock Photo)

Sie schneiden in der Schule schlechter ab als Mädchen und ecken mit ihrem Verhalten häufig an. Ist es in Zeiten, in denen Männlichkeit kritisch hinterfragt wird, ein Nachteil, ein Junge zu sein? Und was bedeutet das für die Erziehung von Söhnen? Zwei Mütter über die Herausforderung – und das Glück –, einen Sohn großzuziehen

Wir haben anlässlich des diesjährigen Muttertags in unserem Archiv der MADAME gestöbert und eine tolle und aktuellere Geschichte denn je über das Muttersein gefunden. Aufgeteilt in zwei Geschichten, kommt hier nun Teil zwei von Autorin Kerstin Holzer mit ganz persönlichen Einblicken in die Erziehung ihres Sohnes und über die Gender-Debatte.

Teil 2 von Autorin Kerstin Holzer

Diesen Frühling schreibt mein Sohn sein Abitur, im Sommer wird er 18 Jahre alt, und im Herbst wird er wahrscheinlich das Nest verlassen. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich ihn ausreichend auf die Welt vorbereitet habe. Er kann zwar proteinreiche Sportler-Shakes für mehr Muckis zu-bereiten, aber keine Spaghetti Bolognese. Er besteht auf Boxershorts, kann sie aber nicht bügeln. Er kann auch keinen Fahrradreifen flicken oder einen Knopf annähen. Macht mir das Sorgen? Nicht wirklich. All das ließe sich in einer Woche spielend lernen. In den vergangenen 17 Jahren ging es mir in Erziehungsfragen um andere Dinge.

Als Lion auf die Welt kam, hatte die Pisa-Studie gerade den Katastrophenfall für Jungs ausgerufen: Sie galten plötzlich als schulische Bildungsverlierer, abgehängt von zielstrebigen, kontrollierten Mädchen. Umgeben von einer Heerschar immer mehr alleinerziehender Mütter, fehlten ihnen zudem in Kindergärten und Schulen männliche Role Models, hieß es. Typisch männliches Verhalten (über den Kopf gezogene Federmäppchen!) würde geahndet, möglichst lautlose soziale Geschmeidigkeit (typisch weiblich?) hingegen belohnt. Im Laufe der letzten Jahre, spätestens seit #MeToo, ist das klassische Mannsein dann immer weiter unter Beschuss geraten. In der modernen Gender-Debatte heißt raubeinige, aggressive Männlichkeit jetzt „toxic masculinity“, die American Psychological Association (APA) rückte sie 2018 in die Nähe psychischer Krankheiten mit hohem Risikofaktor für Isolation, Suchtgefahr, Gewalt.

Dass Männlichkeit als Problemfall gilt, kann eine ziemliche Bürde sein, wenn man heute einen Jungen großzieht. Vor allem, wenn man wie ich einige Jahre lang alleinerziehend ist. Die gut informierte und von massenhaft Ratgebern verunsicherte Mutter weiß, dass sie ihrem Sohn ein positives Männerbild vermitteln muss – nur leider nicht, wie. Ich behalf mir damals mit einem Großvater, der im Laufe seines Lebens die wundersame Wandlung vom toughen Manager zum liebevollen Geduldsengel durchlaufen hat. Ich schickte meinen Sohn zum Kinder-Kung- Fu, wo er bei einem ultrastrengen Trainer nicht nur seine Kraft kennenlernte, sondern auch wie man sie diszipliniert einsetzt. Ich guckte mit ihm alte Filme, deren Männerbild mir sympathisch war: „Der rote Korsar“ mit einem Burt Lancaster, bei dessen Lachen einem das Herz aufgeht, „Rio Bravo“, wo Freundschaft und Tapferkeit über das Böse siegen, und „Die Ferien des Monsieur Hulot“, dessen rührende Ritterlichkeit sogar meinen Neunjährigen ergriff. Ich ließ ihn außerhalb des Faschings als Lucky Luke mit der Spielzeugpistole knallen und hielt ihn fern von reformpädagogischen Parallelwelten, wo stilles
Püppchenfilzen gefragt ist.

„Es stimmt nicht, dass Männlichkeit auf dem Prüfstand steht, sondern nur rücksichtsloses Primatengebaren “

Kerstin Holzer

Aber ich ließ ihn auch kräftig mit anpacken, wenn ich Hilfe brauchte (Katzentoilette säubern, Weihnachtsbaum schleppen ...). Überhaupt war ich recht streng, als es noch Eindruck machte. Ich dachte mir: besser früh klarstellen, dass Frauen was zu sagen haben und Respekt verdienen. Mit der Vorstellung, dachte ich, wäre er in der Zukunft ganz gut beraten. Vielleicht ist es nämlich heute überhaupt nicht schwerer, ein Mann zu werden. Es ist seit #MeToo nur schwerer, als übergriger Macho durchs Leben zu pflügen, der zu Hause die Füße hochlegt, während die Hausfrau darunter staubsaugt. Es stimmt auch überhaupt nicht, dass Männlichkeit auf dem Prüfstand steht, sondern nur rücksichtsloses Primatengebaren. Genau besehen, ist es eine prächtige Zukunft, auf die sich unsere Söhne freuen können: Männer werden mehr von ihren Kindern haben, weil sie Elternzeit beantragen können, und beim Geldverdienen werden sie von ihren Frauen partnerschaftlich entlastet. Sie dürfen zart, poetisch, gefühlvoll sein und trotzdem erfolgreich – wenn sie mögen. Und wenn sie Lust haben, dürfen sie sich die Fingernägel lackieren und gelten trotzdem als coole Hunde. Es ist auch die Aufgabe von Müttern, ihre Jungs zu Männern zu erziehen, die all das zu schätzen wissen.

Seit mein Sohn 14, 15 Jahre alt ist, finde ich seine Jugend in der heutigen Welt allerdings doch manchmal schwerer als zu meinen Teenagerzeiten. Aber das ist sie auch für Mädchen. Die Dauerkontrolle durch WhatsApp und Instagram erschwert, was für Heranwachsende so verdammt wichtig ist: ausbüxen und unbeobachtet bleiben beim Träumen, Flirten, Fehlermachen. Auch der Zwang zur Selbstoptimierung ist nicht nur für jugendliche GNTM-Zuguckerinnen, sondern auch für Jungs ein Fluch. Da hilft nur eins: den Kindern vorleben, dass Unperfektion das Dasein erst unterhaltsam macht. Das gelingt meinem Mann und mir nun wirklich ganz gut. Als ich vor 18 Jahren erfuhr, dass ich einen Jungen erwartete, war ich sofort begeistert. Erstens hat mir das Konzept von Feuermachen, Zelten und Westerngucken schon immer mehr Spaß gemacht als Backen und Zöpfeflechten. Und zweitens fiel es mir mit einem Sohn leichter, das Prinzip Erziehung zu begreifen: Ein Kind ist eben keine Verlängerung seiner selbst, kein „Mini-Me“. Es soll, darf, muss anders sein können. Erziehung bedeutet auch, dass man Misserfolge und Kummer des Kindes aushält, statt sofort mit Lösungen einzugreifen. Wie soll es sonst lernen, dass es Kraft aus sich selber schöpfen kann?

Ist mein Sohn nun schon erwachsen? Ich schätze, nein. Sein Zeitmanagement ist eine Katastrophe, für Klausuren wird erst spät in der Nacht gelernt, nach vertrödelten Nachmittagen. Ich verstehe auch nicht, wie man umgeben von den achtlos zu Boden geworfenen Klamotten einer Woche (alle Pulliärmel auf links gedreht) in Ruhe lesen kann. Seiner Mutter gegenüber spart er nicht an flapsigen Bemerkungen. Aber dafür trägt Lion den alten Nachbarn die Einkaufstüten in den dritten Stock. Wenn er auf dem nächtlichen Heimweg von einer Party in der U-Bahn ein fremdes, angetrunkenes Mädchen aufliest, das von seinen Freundinnen sich selbst überlassen wurde, bringt er es nach Hause und übergibt es seinen dankbaren Eltern. Er interessiert sich für Motorräder, Soul der 80er und will unbedingt nach Tokio. Und: Er hat neben seine Kumpeln auch platonische Freundinnen, die er ziemlich cool findet. Ja, auch ich habe Hoffnung. Und Knöpfe kann ich selbst nicht annähen.

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