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Zum Muttertag: How to raise a Boy Teil 1

Ein Essay von Petra Winter
9 Mai 2024

Die Erziehung eines Jungen (Foto: ClassicStock / Alamy Stock Photo)
Die Erziehung eines Jungen (Foto: ClassicStock / Alamy Stock Photo)

Sie schneiden in der Schule schlechter ab als Mädchen und ecken mit ihrem Verhalten häufig an. Ist es in Zeiten, in denen Männlichkeit kritisch hinterfragt wird, ein Nachteil, ein Junge zu sein? Und was bedeutet das für die Erziehung von Söhnen? Zwei Mütter über die Herausforderung – und das Glück –, einen Sohn großzuziehen

Wir haben anlässlich des diesjährigen Muttertags in unserem Archiv der MADAME gestöbert und eine tolle und aktuellere Geschichte denn je über das Muttersein gefunden. Aufgeteilt in zwei Geschichten, startet Chefredakteurin Petra Winter mit ganz persönlichen Einblicken in ihre Familie.

TEIL 1 von Chefredakteurin Petra Winter

Gespräche über Söhne mit deren Müttern beginnen meistens mit einem Seufzen. „Ach ja, ist deiner auch so widerspenstig in der Schule? So grobmotorisch? So verträumt?“ Ich könnte eine endlose Liste schreiben mit Eigenschaften, die Mädchen spielend erfüllen und die unsere Jungs zu Problembären der Evolution gemacht haben. Setzt man die Unterhaltung mit Jungs-Müttern fort, fällt irgendwann der aufmunternde Satz: „Das wird schon.“ Und: „Die bekommen die Kurve eben später.“ Ein kaum mehr hörbares „hoffentlich“ wird hinterhergeschoben. Ich erinnere mich an viele Momente, in denen ich solche Gespräche hatte und die Mütter von Mädchen beneidete, dann etwa, wenn mein Sohn neben der gleichaltrigen Tochter einer Freundin saß, die detailreich Menschen und Pferde zeichnete, und er ein paar schräge Striche aufs Papier warf und erklärte, dass das ein Ritter sei. Und klar denke ich über den Geschlechterunterschied nach, wenn ich morgens meinem achtjährigen Sohn beim Anziehen helfen muss, weil er seine Socken nicht anbekommt. Oder dann, wenn jedes Wort für die Hausaufgaben mit viel Drama und Geschrei aufs Papier gedrückt wird. Oh Boy! Ich war wirklich anders in dem Alter! Ja, natürlich auch ein Trotzkopf, aber schneller, geschmeidiger, lernbegieriger. Sicher habe ich auch schon darüber nachgedacht, dass wir unseren Söhnen weniger zutrauen als den Töchtern und ergo ihr Verhalten eine Self-fulfilling Prophecy ist. Ähnlich wie wir unseren Männern nicht zutrauen, mit einem Baby angemessen umzugehen (zu grobmotorisch, zu unsensibel).

How to make friends?

Im Zeugnis meines Sohnes steht: „At times, Vincent engaged in classroom activities ... with some encouragement and guidance, he was able to share his ideas and observations while experimenting with light and sound.“ Er ist in der dritten Klasse einer internationalen Schule. Mit kleinen Klassen und Support Teachers, die sich gesondert um die schwierigen Fälle kümmern. In seinem Jahrgang sind das ausschließlich Jungen. Da geht es nicht nur um Konzentration und Motorik, sondern auch um solche Dinge wie „how to make friends“. Hilfe! Ich hatte seit der Vorschule eine beste und mindestens fünf gute Freundinnen. Mein Mann versucht, mich zu beruhigen, er sei auch so gewesen. Ich mag das nicht glauben. Dass Jungs die Verlierer unserer heutigen Erwartungen an soziales Verhalten und damit auch unseres Wertesystems sind, weiß man spätestens dann, wenn zum wiederholten Male eine E-Mail der Lehrerin kommt, in der das aggressive Verhalten des eigenen Kindes moniert wird mit dem Hinweis, dass Tätlichkeiten an dieser Schule nicht geduldet werden. Dem würde jede Mutter erst mal zustimmen, oder? Meine Freundin Elisabeth, die im Chiemgau lebt, erzählte mal, dass sie sich dafür starkgemacht hätte, dass ihren Jungs auf dem Schulhof erlaubt wird, Holzpistolen mitzubringen und sich zu hauen. Ich habe daraufhin beschlossen, dass ein dem Klassenkameraden über den Kopf gezogenes Federmäppchen eine lässliche Sünde ist.

„Ich bin darüber, glücklich dass mein Sohn in der Lage ist, seine Gefühle zu artikulieren, und sein Umfeld das zulässt “

Petra Winter

Ausdrucksstark

Ich pauschalisiere sicher, wenn ich schreibe, dass weibliches Verhalten in den Schulen belohnt wird und typisch männliches bestraft. Unterm Strich läuft es jedoch darauf hinaus. Wäre es also nicht an der Zeit, genauer hinzuschauen, wie wir die Jungen unterstützen können, damit sie nicht zu den Verlierern von morgen werden in einer Welt, die (zu Recht) Frauen mehr und mehr nach ihren Vorstellungen formen? Die FDP hatte diesen Punkt sogar schon 2013 in ihrem Wahlprogramm. Jetzt muss ich noch mal seufzen. Nicht, weil alles so schwierig
ist, sondern voller Liebe und Hingabe. Denn ich habe den süßesten, tollsten, schlausten und charmantesten Sohn der Welt. Er erklärt mit dem Fachwissen eines Geologen, wie ein Vulkan ausbricht, und schafft es trotz Schnorchel im Mund, die Lage unter Wasser zu kommentieren. Er arbeitet mit Boxhandschuhen an seinem Sixpack, macht Vernissagen mit dem Verkauf seiner eigenen Kunstwerke, um sein Taschengeld aufzubessern, und hält gern und ohne Scheu kleine Reden. Mittels einer selbst gebastelten Collage machte er uns vor Kurzem seine Standpunkte klar. Unter „Ich mag“ stand Folgendes: Lob, Wasser, Gipfel und Filetstück (mit Pommes). Unter „Das mag ich nicht“: Frühstücken, Radfahrer, Hässliches. Und unter „Alles später bitte“: Bescheidenheit, Anstand und innere Werte. Zum Brüllen ist das. Ich bin froh über eine so unverstellte Sicht auf die Welt.

Umdenken

Als ich vor neun Jahren schwanger wurde und erfuhr, dass da ein Junge in meinem Bauch heranwuchs, brauchte ich eine Weile, um zu begreifen, dass das mit den Zöpfen, den Kleidchen und den Ballettstunden nichts werden würde. Stattdessen wilde Locken, Lederhosen, Ritter, Drachen und Kung-Fu. Ich liebe diese Welt heute, weil sie anders ist als meine damals mit Barbies und Prinzessinnen. Ich würde mir wünschen, dass mein Sohn – so wie ich damals – mehr auf Bäume klettern könnte, Stunts mit dem Fahrrad drehen und einfach mal im Wald abtauchen könnte. Aber wir wohnen mitten in der Großstadt mit weniger Chancen auf solche Abenteuer. Dafür bin ich glücklich darüber, dass Vincent in der Lage ist, seine Gefühle zu artikulieren, dass nicht nur wir, sondern sein gesamtes Umfeld das zulässt und positiv bewertet. Das war in meiner Kindheit sicherlich anders. Ich habe Hoffnung.

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