Wegelaberei-Furcht (f.), die

Ein Essay von Nina Berendonk

(Illustration: Ekaterina Ananina)

Unsere Autorin unterhält sich gern mit anderen Menschen – fürchtet aber rücksichtslose Verbalüberfälle

Ich bin eigentlich ein pünktlicher Mensch – trotzdem gehe ich oft eine Spur zu spät aus dem Haus. Weil ich noch eben einen Artikel fertigschreiben möchte, die Spülmaschine gerade durchgelaufen ist oder der Nagellack noch nicht trocken war. Sind die Wohnung und ich endlich in ausgehbereitem Zustand, heißt es dann Gas geben, um niemanden warten zu lassen. Hoffentlich, denke ich mir oft, während ich die Treppen hinunter­eile, springt mir jetzt kein Wegelaberer vor die Füße!

Mit System

Man erkennt diese besondere Spezies unschwer an ihrer kaum einzudämmenden Kommunikationslust, dem Grad, in dem sie verbale wie nonverbale Signale ihres Gegenübers zu ignorieren weiß – und an der Wahl ihres Wirkungsortes: Das natürliche Habitat des gemeinen Wegelaberers findet sich am Rande stark und eilig frequentierter Strecken. Besonders viele Sichtungen habe ich auf dem Weg zwischen unserer Haustür und den Fahrradständern verzeichnet, aber auch Büroflure und -küchen sind sehr beliebt. Dort lauert der Wege­laberer seinem Opfer auf, verwickelt es zunächst im Vorbeigehen in einen Informationsaustausch über das Wetter oder die neue Kaffeemaschine. Solchermaßen eingelullt (und weil man ja auch nicht immer die gestresste Hektikerin sein möchte), lässt man sich trotz Eile darauf ein – nur um dann festzuhängen wie einst der Pumuckel an Meister Eders Leim.

Vielleicht hilft die Ampel

„Na gut …“, „Also dann …“, „Ich müsste jetzt mal …“: Hinweise dieser Art verhallen ebenso ungehört wie eine beredte Körpersprache: Ich erinnere mich an einen Sprachüberfall, während dessen ich meinen Fuß ganze 20 Minuten abfahrbereit auf dem Fahrradpedal stehen hatte. Raushauen konnte ich mich am Ende nur mit der Ausrede, dringend auf die Toilette zu müssen. Um dem Gesprächsaufhänger „Blasenschwäche“ von vornherein das Wasser abzugraben, muss ich mir jetzt etwas Neues einfallen lassen. Kurz habe ich den Einsatz von farbigen Buttons am Revers erwägt: Grün für redebereit, Gelb für Small Talk unter fünf Minuten, Rot für Konversation to go.

Da aber auch die Entschlüsselung von Farbcodes eine gewisse Sensibilität erfordert, habe ich beschlossen, Wegelaberer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Von jetzt an werde proaktiv auf die üblichen Verdächtigen zustürmen und sie so um Sinn und Verstand quatschen, dass sie es sich künftig gut überlegen werden, sich mir in den Weg zu stellen. Die Spülmaschine bleibt dann eben mal unausgeräumt, die Nägel nur einfach lackiert. Dafür winkt in Zukunft freie Fahrt auf meinen Rennstrecken.

Autorin Nina Berendonk legt Wert auf die Feststellung, dass Wegelaberer sowohl männlichen wie weiblichen Geschlechts sein können. Und: dass Hilfsbereitschaft noch viel wichtiger als Pünktlichkeit ist.