Verpackungs-Dysfunktions Ärger, der (m.)

Ein Essay von Carmen Färber

Kleinteilig (Illustration: Hassan Kerrouch)

Ob zum Aufdrehen oder Aufreißen – warum machen es uns die Hersteller eigentlich so schwer, an den Inhalt von Verpackungen zu kommen?

Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehn und mit der kleinen Kurbel ganz nach oben drehn“, trällerte Comedian Mike Krüger in meinem Kopf. „Da erscheint sofort ein Pfeil, da drücken Sie dann drauf, und schon geht die Tube auf.“ Und wieder von vorn: „Sie müssen nur den Nippel …“ Gefangen in der Dauer­schleife meines offenbar überhitzen Gehirns stand ich im Bad des Hotelzimmers und spürte, dass ich einem hysterischen Lachkrampf gefährlich nahe kam.

Was mich so weit gebracht hatte? Reisezahnpasta! Ich war unterwegs auf einer Pressereise, und da ich leider jemand bin, der öfter mal und mit Vorliebe wichtiges Equipment zu Hause vergisst, konnte ich meine Zahnpasta nirgends finden. Netterweise bekam ich ein Reiseset an der Rezeption. Ich schraubte das winzige Deckelchen der Mikro-Zahnpastatube ab – um auf eine ebenso winzige Aluabdeckung mit einer mikroskopisch kleinen Lasche (ich würde am liebsten „Läschchen“ schreiben) zu stoßen. So klein, dass ich sie nicht einmal mit den Nägeln zu fassen kriegte. Ich begriff: Hier müssen schwere Geschütze aufgefahren werden. Ich glaube mich zu erinnern, wie ich laut und feierlich sagte: „Schwester Jutta, Pinzette bitte!“ – noch fand ich es irgendwie witzig. Was ich mir vorstellte: eine Operation am offenen Herzen – und wie meiner imaginären OP-Assistenz Jutta schon die Schweißperlen auf der Stirn stehen, ich aber ruhig bleibe. Meine Bewegungen: präzise. In der Realität werkelte ich sicher zehn Minuten erfolglos mit meiner Pinzette an der winzigen Lasche herum – bald schon alles andere als präzise, sondern mit aggressiv zitternden Händen.

Eine Studie besagt, dass wir Deutschen durchschnittlich 31 Tage unseres Lebens damit verbringen, widerspenstige Verpackungen zu öffnen – das sind 13 Minuten pro Woche. Durchaus vorstellbar. Vernietete Plastikhüllen für Glühbirnen, hermetisch eingeschweißte Rasierklingen oder Lebensmittel, die hinter roten Reißbändchen unerreichbar bleiben, geben in der Hinsicht ihr Bestes. Aber wie kann das sein? Alles wird doch ständig weiterentwickelt – „verbesserte Rezeptur“ hier, „neue Formel“ da. Ist dabei wirklich noch niemand auf die Idee gekommen, nicht nur das Produkt, sondern auch dessen „Usability“ zu verbessern? Hier ein Vorschlag für einen entsprechenden Claim: „Jetzt mühelos zu öffnen“. Nicht sehr kreativ, aber durchaus ein Kaufargument – für mich auf jeden Fall nach meiner Zahnpasta-OP. Übrigens habe ich bei der Mikrotube am Ende einfach den kompletten Kopfteil abgeschnitten. Und Mike Krüger hörte endlich auf zu singen.

Autorin Carmen Färber weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie mal wieder ihre Zahnpasta zu Hause liegen lässt, und hofft, dass die Verpackungs­industrie bis dahin etwas dazugelernt hat.