Soll ich was sagen-Zwiespalt, der (m.)

Ein Essay von Eva Meschede

Hauptsache weiter lächeln (Illustration: Hassan Kerrouch)

Ein geplatztes Kleid oder Petersilie zwischen den Zähnen. Kleine Malheure und ihre vermaledeite Wirkung

Glück und Unglück

Das kleine Glück ist etwas, das wir beeinflussen können. Wir müssen nur achtsam sein: Dann bemerken wir die Blume, die aus dem Asphalt sprießt, den seltenen Schmetterling, der vorbeifliegt, die Wiedersehensfreude im Gesicht der Schulfreundin, die zufällig in der Stadt war. Dem kleinen Unglück dagegen können wir nicht entkommen, wir laufen sehenden Auges hinein. So wie ich auf einem glamourösen Event. Alles war perfekt, die Sommernacht lau, die Gästeliste interessant, das Ambiente faszinierend, die Häppchen exquisit. Da tritt die Gastgeberin zur Begrüßung auf mich zu, mit strahlendem Lächeln. Und ich sehe mein kleines Unglück, auch ohne Brille hätte ich es bemerkt: Ein Stück Grün leuchtet zwischen ihren makellosen Schneidezähnen. Spinat oder Petersilie, überlege ich. Und schon stecke ich im Zwiespalt: Soll ich was sagen?

Petersilien-Botschaft

Der große Komiker Loriot hat dieser Situation einen unvergessenen Sketch gewidmet: „Die Nudel“ erzählt von einem Dinner-Date, bei dem der Mann ein Stück Spaghetti im Gesicht hat und die Frau seine Liebeserklärung nicht hört, weil sie nur an die Nudel denken kann. So wie ich plötzlich ausschließlich Petersilie im Kopf habe. Soll ich was sagen?, hämmert es in mir. Wagte ich es, dann behielte mich die Gastgeberin womöglich für alle Zeiten als die Überbringerin der schlechten Petersilien-Botschaft in Erinnerung und verbände mich mit dem Gefühl von Peinlichkeit. Dabei hätte ich sie tapfer vor weiteren Begegnungen dieser Art bewahrt. Andererseits kann ich auch hoffen, dass das Grünzeug beim nächsten Schluck Champagner ganz von selbst den ihm zugedachten Weg findet. Dann hätte die gute Frau nie teilgehabt an unserem kleinen Unglück.

Nichtwissen ist manchmal ein Glück

Die offene Hose, das aufgeplatzte Kleid, der Fleck hinten auf dem Rock: Ich frage mich, für wen solche Situationen schlimmer sind – die Entdecker*innen des Malheurs oder die Träger*innen der Blamage? Jedenfalls gibt es aus dem Soll-ich-was-sagen-Dilemma keinen eindeutigen Ausweg. Den Chef bei einem Mitarbeitergespräch auf seine Hose hinzuweisen, scheint eher nicht so angebracht. Die Freundin dagegen würde man auf gar keinen Fall mit Cappuccino-Bärtchen weiterziehen lassen. Die Überlegung, wie hätte ich es selbst am liebsten, hilft hier auch nicht weiter. Zu unterschiedlich ist das Peinlichkeitsempfinden der Menschen. Was die Gastgeberin des Events angeht, am Nachbarstehtisch fasste sich eine von mir bewunderte Mutige ein Herz. Lustig. Lachen, und der Fleck auf weißen Zähnen war Geschichte.

Autorin Eva Meschede hat sich einmal so schwungvoll ins Taxi geschmissen, dass die hintere Naht ihres Etui-Kleids bis über den Po aufriss. Mit der um die Hüften gebundenen Strickjacke konnte sie die Welt vor diesem Zwiespalt bewahren.