Restaurant-Tipp: Das St. John Bread and Wine in London

Ein Artikel von Lorraine Haist

Geräucherter Kabeljaurogen, Ei und Kresse auf der Mittagskarte im St. John (Foto: Courtesy of St. John)

From nose to tail – das alte kulinarische Prinzip der Bistro-Küche feiert in Spitalfields köstliche Triumphe

Auch Briten können Bistro-Küche. Das beste Beispiel befindet sich in London, genauer: im Stadtteil Spitalfields im East End, wo es viele tolle Restaurants und immer neue kulinarische Konzepte gibt; das ganze Viertel ist ein wahres Schlemmerparadies geworden. Trotzdem zieht es mich zuerst ins „St. John Bread and Wine“, es fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen.

Das Lokal mit dem schwarz-weißen Fliesenboden, den weiß getünchten Wänden, dem schlichten Holzmobiliar und den Industrieleuchten wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Auch der Name ist feinstes britisches Understatement: Hier geht es um die wesentlichen Dinge des guten Lebens, nicht mehr und nicht weniger. Die – ausschließlich französische – Weinauswahl ist riesig und erschwinglich. Das hervorragende Sauerteigbrot kommt aus der hauseigenen Bäckerei, die auch das legendäre Mutter-Restaurant „St. John“ am Smithfield Market beliefert. Von hier aus revolutionierte der studierte Architekt Fergus Henderson, der sich das Kochen selbst beibrachte, in den 90er-Jahren mit seiner Nose-to-tail-Küche die britische Esskultur. Er tischte seinen Gästen Kalbshirn, Kutteln und geröstete Markknochen mit Petersiliensalat auf, erinnerte sie daran, nicht nur die vermeintlichen Filet­stücke, sondern das ganze Tier zu verwerten, und wurde damit zum Vorreiter einer nachhaltigen, regional und saisonal orientierten Kulinarik in UK.

Britisches Understatement (Foto: Elliot Sheppard)

Anders als im ebenfalls sehr entspannten „St. John“ gibt es im „Bread and Wine“ aber weder Tischdecken noch einen Michelin-Stern, reserviert habe ich dort auch noch nie. Die vielen kleinen Gerichte auf der täglich wechselnden Karte laden zum Teilen ein – oder zum Probieren, wenn man allein unterwegs ist. Es gibt geräucherten Kabeljaurogen mit Ei, Gartenkresse und knusprigen, in Gänsefett ausgebackenen Kartoffeln, wilden Brokkoli mit einer unglaublich intensiven Vinaigrette, Seehecht mit Weißkohl und Kerbel, gegrilltes Ochsenherz mit Roter Bete und eingelegten Walnüssen oder Lammbraten mit Radicchio und Sardellen. Wer es ganz klassisch mag, bekommt auch einen Welsh Rarebit, den Toast Hawaii der britischen Küche, nach dem Originalrezept von Fergus Henderson.

Game Pie (Foto: Sam A Harris)

Die rustikalen Gerichte sind mit Finesse und den besten Produkten zubereitet und leben von einem unverstellten, unmittelbaren Zugang zum Kochen: Jeder Bissen ist eine Handreichung und ein Bekenntnis zum Genuss, verständlich für alle. Dafür sprechen auch die einfachen und köstlichen Desserts, die so zahlreich sind wie die herzhaften Gerichte auf der Karte. Unbedingt die Pavlova mit Früchten der Saison probieren, im Winter mit Birnen und Kastanien, im Sommer mit den herrlichsten, aromatischsten Beeren. Und zum Abschluss kann ich nur empfehlen, unbedingt ein Dutzend ofenfrischer Madeleines mitzunehmen, als Wegzehrung und Erinnerung an das wahrscheinlich beste Gastro-Pub der Insel. Bis zum nächsten Mal!

St. John Bread and Wine

94–96 Commercial Street

London E1 6LZ

United Kingdom

Tel: +44 20 72 51 08 48

täglich 12–15 und 18–21.30 Uhr

An der Tafel stehen täglich wechselnde Gerichte wie Kabeljaurogen, Ochsenherz, Seehecht, Terrinen, Pies, Gratins und pochiertes Ei, nur eins wechselt nicht: Die Weine kommen aus Frankreich! Das junge Küchenteam ist allerdings aus aller Welt.

Die Journalistin Lorraine Haist schreibt für diverse Magazine und Tageszeitungen über Gastronomie, ist Chairwoman der Rangliste „The World’s 50 Best Restaurants“ in Deutschland – und geht vor allem mittags gern mal allein essen.

Farokh Talati, Chefkoch von St John Bread and Wine (Foto: Sonni Frej)