Prioritäten-verwirrung, die  (f.)

Ein Essay von Susanne Stefanski

Was wollte ich nochmal hier? (Illustration: Hassan Kerrouch)

Im Leben muss man fokussieren, um seine Aufgaben zu bewältigen, weiß doch jeder. Doch warum klappt das im Alltag oft nicht?

Nein, es hat ausnahmsweise mal nichts mit dem Phänomen Reizüberflutung und Kontrollverlust durch das massive Überangebot im Internet oder in den sozialen Medien zu tun. Oder zumindest nur peripher … Sondern es ­findet komplett unspektakulär in meinem persönlichen, analogen Hier und Jetzt statt. Dieses Verhalten, für das ich in Wahrheit gar keine offizielle Bezeichnung kenne, obwohl die sicher existiert. Heute gibt es für alles ganz tolle Namen, egal, ob das Betreffende auch schon mal anders geheißen hat und man damit vielleicht auch ganz zufrieden war. Doch ich schweife ab, es ging ja um diese Eigenart, die mich in die unendlichen Weiten des Alltags entführt und nicht selten erschöpft den Rückweg antreten lässt.

Ein Beispiel

Ich stehe vom Schreibtisch auf, um mir in der Küche einen Kaffee zu holen. Aus dem Kühlschrank hole ich nicht nur die Milch, sondern bemerke, dass das letzte Glas der Lieblingsmarmelade fast leer ist. Ich gehe zu unserer Einkaufstafel und will Gelierzucker notieren, da lese ich, vom Sohn geschrieben: Batterien. Echt, kann gar nicht sein, muss ich nachschauen! Der Weg zum Keller lohnt sich doch doppelt, wenn ich die Schmutzwäsche mitnehme. Noch nicht unten angekommen, fällt meinem ausgeprägten optischen Gedächtnis auf, dass das Einblatt im Flur ein wenig mehr die Blätter gesenkt hat als gestern. Rettung naht, vor der Haustür steht ja das Regenbecken. Leider leckt die Kanne ein wenig, ich tröpfele im Eingang rum. Schnell den Lappen geholt und beim Aufwischen registriert, dass man schon lange nicht mehr richtig in den Ecken und so – you know, what I mean …

Alles und nichts

Okay, aber nicht jetzt, ich wollte doch in den ­Keller, die Batterien. Tatsache, keine dieser Knopfzellen für die kleine alte Tischuhr von Tiffany mehr da. Die hat ja den Sprung im Glas, da wollte ich doch die ganze Zeit schon mal anrufen, ob die das reparieren können … Nee, jetzt erst mal Batterien bestellen. Jetzt, sofort, sonst wird das vergessen – das Smartphone hat ja jeder ­immer umhängen oder in der Hosentasche, richtig? Also, Batterien googeln (das ist jetzt der Einsatz des Internets) und feststellen, dass der ewig ausverkaufte favourite Nagellack wieder lieferbar ist. Super, sofort Termin zur Maniküre ausmachen, oh, ein Geräusch, der Lieblingsmensch kommt nach Hause und wundert sich über den Wäschekorb vor der Garderobe. Erstaunlich, oder? Es war doch alles relevant, was mir da so in den Kopf kam, ja, auch der Nagellack. Jetzt stelle ich erst mal die Waschmaschine an und schenke mir ein abendliches Kaltgetränk ein. Den vorwurfsvollen Blick des kalten Kaffees über­sehe ich hoheitsvoll.

Autorin Susanne Stefanski hält sich grundsätzlich für einen gut organisierten Menschen, aber sie überlegt, ob es besser ist, manchmal einfach nichts zu tun – zumindest fürs Erste.