Neustart mit 50

Ein Essay von Andrea

Einen Neuanfang kann man nur mit eigenen Händen anschieben (Foto: Adriano Russo)

Unsere Autorin hat hintereinander ihren Job gekündigt und sich von ihrem Mann getrennt – jeweils ohne etwas Neues in Aussicht. Eine sehr persönliche Geschichte mit Happy End

Ich bin 54 Jahre alt und meine besten Jahre erlebe ich, seit ich 50 bin. Mit meiner persönlichen Geschichte möchte ich Mut machen und zeigen, dass Veränderungen neue, großartige Chancen eröffnen können. Menschen in der Lebensmitte reflektieren stärker. Sie sehen die Welt klarer und haben aufgehört, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Sie stellen die Erwartungen der Mitmenschen nicht mehr über ihre eigenen Bedürfnisse. Sie sind kompromissloser in ihrem Denken und Handeln, sie achten bewusster darauf, ihre Zeit mit Menschen und Dingen zu verbringen, die sie bereichern. Menschen ab 50 haben keine Angst mehr vor dem Scheitern. Sie wissen, dass man aus Fehlern lernen und sich weiter entwickeln kann. Sie wissen genau, was sie nicht wollen, und sind bereit herauszufinden, was sie wirklich wollen. Voraussetzung ist, die eigene Komfortzone zu verlassen.


Ich führte mit 50 radikale Veränderungen durch und begab mich damit bewusst in die Ungewissheit – sowohl beruflich als auch privat: Nach 18 Jahren verließ ich zunächst meinen sicheren und hochdotierten Job in einem DAX-Konzern, ohne einen Anschlussjob zu haben. Manchmal muss man eine Tür schließen, bevor man eine neue Tür öffnen kann. Für mich hatten sich gleich drei neue Türen geöffnet: Ein Job in einer etablierten Agentur, ein Job in einem Startup und eine Lehrtätigkeit an einer Hochschule. Weil ich mich nicht entscheiden konnte, nahm ich alle drei an. Nach einem halben Jahr entschied ich mich für den Job im Startup. Ich konnte beim Aufbau mitwirken - das war das Gegenteil vom DAX-Konzern. Mittlerweile bin ich Geschäftsführerin eines Joint Ventures, das mein Arbeitgeber mit einem anderen Unternehmen gegründet hatte – eine unfassbare Chance, die großartige Möglichkeiten bietet und mich täglich wachsen lässt. Soweit die Jobseite.


Die positiven Erfahrungen meines beruflichen Neuanfangs machten mich selbstbewusst und risikofreudig. Ich begann, auch mein privates Leben zu reflektieren. Wie geht es mir in meiner mittlerweile 20-jährigen Ehe? Bin ich glücklich? Mein Mann und ich waren kein Einzelfall: Die Routine holte uns ein, die Partnerschaft stand im Vordergrund, die Leidenschaft war verschwunden. Wir nahmen uns nicht mehr wahr, das eigene Wohl war wichtiger als das des anderen. Wie lange hat mein Mann mich nicht mehr fotografiert? Wann hat er mir das letzte Kompliment gemacht? Mir wurde klar: Die Liebe ist vorbei, auch hier: Zeit für Veränderung. Ich beendete die Beziehung – nach 25 Jahren – mein Mann ließ mich kampflos gehen, vielleicht war er sogar erleichtert. Die Reaktion unserer gemeinsamen Tochter bestätigte uns: Sie sagte – damals erst 13 - „es hat sich nicht mehr richtig angefühlt“ - da wussten wir: alles richtig gemacht, denn seinem Kind ein Leben ohne Liebe vorzuleben, ist verwerflich.


Wir trennten uns als Freunde, ohne Groll, ohne Affären, ohne Vorwürfe. Rund 1,5 Jahre nach unserer Trennung hatte ich Sehnsucht nach etwas Neuem, vor allem nach körperlicher Nähe. Ich suchte keine feste Beziehung, ich machte mir keine Illusionen: Nach zwei großen Lieben hatte ich weder die Erwartung noch die Hoffnung auf die große Liebe. Ich hatte gelernt, gut alleine zu leben, mit meiner Tochter, mit einem wunderbaren Freundeskreis, mit unverbindlichen Begegnungen. Und genau mit dieser Nicht-Erwartungshaltung, mit dieser Offenheit für jegliche Beziehungsformen habe ich meine neue, zugleich größte, Liebe meines Lebens getroffen. Nach nunmehr zweieinhalb Jahren sind wir verliebt wie am ersten Tag und unendlich dankbar dafür. Die Liebe ab 50 fühlt sich anders an. Besser als alles zuvor. Sie ist ehrlich, sie ist leidenschaftlich, sie ist bedingungslos, sie ist freiwillig. Sie ist ohne Anforderungen, ohne Erwartungen und ohne Verpflichtungen. Wir können ohne einander, aber miteinander ist es viel schöner. Wir sind dankbar. Wir sind reifer und selbstbewusster und wir lassen den anderen so sein, wie er ist. Kurzum: Die Liebe ab 50 ist wunderbar.

„Mein Mann und ich waren kein Einzelfall: Die Routine holte uns ein, die Partnerschaft stand im Vordergrund, die Leidenschaft war verschwunden. Wir nahmen uns nicht mehr wahr, das eigene Wohl war wichtiger als das des anderen.“