Neustart mit 50
Unsere Autorin hat hintereinander ihren Job gekündigt und sich von ihrem Mann getrennt – jeweils ohne etwas Neues in Aussicht. Eine sehr persönliche Geschichte mit Happy End
Ich bin 54 Jahre alt und meine besten Jahre erlebe ich, seit ich 50 bin. Mit meiner persönlichen Geschichte möchte ich Mut machen und zeigen, dass Veränderungen neue, großartige Chancen eröffnen können. Menschen in der Lebensmitte reflektieren stärker. Sie sehen die Welt klarer und haben aufgehört, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Sie stellen die Erwartungen der Mitmenschen nicht mehr über ihre eigenen Bedürfnisse. Sie sind kompromissloser in ihrem Denken und Handeln, sie achten bewusster darauf, ihre Zeit mit Menschen und Dingen zu verbringen, die sie bereichern. Menschen ab 50 haben keine Angst mehr vor dem Scheitern. Sie wissen, dass man aus Fehlern lernen und sich weiter entwickeln kann. Sie wissen genau, was sie nicht wollen, und sind bereit herauszufinden, was sie wirklich wollen. Voraussetzung ist, die eigene Komfortzone zu verlassen.
Ich führte
mit 50 radikale Veränderungen durch und begab mich damit bewusst in die
Ungewissheit – sowohl beruflich als auch privat: Nach 18 Jahren verließ ich
zunächst meinen sicheren und hochdotierten Job in einem DAX-Konzern, ohne einen
Anschlussjob zu haben. Manchmal muss man eine Tür schließen, bevor man eine
neue Tür öffnen kann. Für mich hatten sich gleich drei neue Türen geöffnet: Ein
Job in einer etablierten Agentur, ein Job in einem Startup und eine
Lehrtätigkeit an einer Hochschule. Weil ich mich nicht entscheiden konnte, nahm
ich alle drei an. Nach einem halben Jahr entschied ich mich für den Job im
Startup. Ich konnte beim Aufbau mitwirken - das war das Gegenteil vom
DAX-Konzern. Mittlerweile bin ich Geschäftsführerin eines Joint Ventures, das
mein Arbeitgeber mit einem anderen Unternehmen gegründet hatte – eine
unfassbare Chance, die großartige Möglichkeiten bietet und mich täglich wachsen
lässt. Soweit die Jobseite.
Die
positiven Erfahrungen meines beruflichen Neuanfangs machten mich selbstbewusst
und risikofreudig. Ich begann, auch mein privates Leben zu reflektieren. Wie
geht es mir in meiner mittlerweile 20-jährigen Ehe? Bin ich glücklich? Mein
Mann und ich waren kein Einzelfall: Die Routine holte uns ein, die Partnerschaft
stand im Vordergrund, die Leidenschaft war verschwunden. Wir nahmen uns nicht
mehr wahr, das eigene Wohl war wichtiger als das des anderen. Wie lange hat
mein Mann mich nicht mehr fotografiert? Wann hat er mir das letzte Kompliment
gemacht? Mir wurde klar: Die Liebe ist vorbei, auch hier: Zeit für Veränderung.
Ich beendete die Beziehung – nach 25 Jahren – mein Mann ließ mich kampflos
gehen, vielleicht war er sogar erleichtert. Die Reaktion unserer gemeinsamen
Tochter bestätigte uns: Sie sagte – damals erst 13 - „es hat sich nicht mehr
richtig angefühlt“ - da wussten wir: alles richtig gemacht, denn seinem Kind
ein Leben ohne Liebe vorzuleben, ist verwerflich.
Wir trennten
uns als Freunde, ohne Groll, ohne Affären, ohne Vorwürfe. Rund 1,5 Jahre nach
unserer Trennung hatte ich Sehnsucht nach etwas Neuem, vor allem nach
körperlicher Nähe. Ich suchte keine feste Beziehung, ich machte mir keine
Illusionen: Nach zwei großen Lieben hatte ich weder die Erwartung noch die
Hoffnung auf die große Liebe. Ich hatte gelernt, gut alleine zu leben, mit
meiner Tochter, mit einem wunderbaren Freundeskreis, mit unverbindlichen
Begegnungen. Und genau mit dieser Nicht-Erwartungshaltung, mit dieser Offenheit
für jegliche Beziehungsformen habe ich meine neue, zugleich größte, Liebe
meines Lebens getroffen. Nach nunmehr zweieinhalb Jahren sind wir verliebt wie
am ersten Tag und unendlich dankbar dafür. Die Liebe ab 50 fühlt sich anders
an. Besser als alles zuvor. Sie ist ehrlich, sie ist leidenschaftlich, sie ist
bedingungslos, sie ist freiwillig. Sie ist ohne Anforderungen, ohne Erwartungen
und ohne Verpflichtungen. Wir können ohne einander, aber miteinander ist es
viel schöner. Wir sind dankbar. Wir sind reifer und selbstbewusster und wir
lassen den anderen so sein, wie er ist. Kurzum: Die Liebe ab 50 ist wunderbar.
„Mein Mann und ich waren kein Einzelfall: Die Routine holte uns ein, die Partnerschaft stand im Vordergrund, die Leidenschaft war verschwunden. Wir nahmen uns nicht mehr wahr, das eigene Wohl war wichtiger als das des anderen.“