Neinsager-Hochgefühl, das (n.)

Ein Essay von Petra Winter

Nein ist ein ganzer Satz (Illustration: Hassan Kerrouch)

Uns allen fällt es leichter, Ja zu sagen. Warum uns aber ein Nein häufiger weiterbringt und glücklicher macht

Nein, Nein, Nein!“ So beantwortete Karl ­Lagerfeld des Öfteren Fragen von Journalist*innen. Ausgesprochen wie aus einem Maschinengewehr. Manche Fragen beleidigten offenbar seinen Intellekt. Ich vermute, dass das Stilgenie schon als kleiner Junge ein großer Neinsager war. Er wusste früh, was er wollte – und was nicht. Er war ein Außenseiter. Das wissen wir aus zahlreichen Biografien. Neinsager sind erst mal nicht beliebt. Es scheint so viel leichter, Ja zu sagen. Man wirkt sympathisch, hilfsbereit, zugänglich. Nur muss ein Ja­sager die Konsequenzen für seine Antwort tragen, denn ein Ja zieht einen Rattenschwanz an Aufgaben nach sich. Ein Nein beendet die Diskus­sion. Es ist erst mal hart, bringt aber Seelenfrieden und oft auch Erfolg.

In einem Interview wurde eine mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Forscherin – leider habe ich den Namen vergessen – einmal gefragt, was sie in ihrer Karriere im Rückblick anders gemacht hätte. Sie antwortete: „Ich hätte öfter Nein sagen sollen, weil ich dann schneller ans Ziel gekommen wäre.“ Gerade Frauen neigen dazu, anderen entgegenzukommen. Sie sind meist so erzogen worden, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Sie geraten durch ein Ja aber häufiger auf Um- und Abwege – oder auch in eine Sackgasse. Ein Ja zu Kindern hieß und heißt in vielen Fällen ein Nein zu beruflichem Erfolg.

Jasager sind der Klebstoff unserer Gesellschaft. Neinsager bringen uns weiter. Denn sie lassen sich weniger ablenken – von den Umständen, vom Alltag, von Hängematten-Momenten.

Wie machtvoll ein Nein ist, lernen schon kleinste Kinder. Sie entdecken mit diesem Wort ihr Ich. Sie spüren, wie ihnen plötzlich alle Aufmerksamkeit sicher ist. Wie Eltern mit einer Mischung aus Genervtsein und Bewunderung reagieren, wenn der Nachwuchs plötzlich eine entschiedene Haltung zeigt: Das will ich nicht! Das mag ich nicht! Und ich lass mich nicht zwingen (den Teller leer zu ­essen, das Spielzeug abzugeben, die Süßigkeiten zu teilen). Heute wissen wir, dass es gut ist, Kindern ihren Willen zu lassen – natürlich nicht immer, aber in den entscheidenden ­Augenblicken. Wir wissen, dass wir so die Chancen erhöhen, aus ihnen selbstbestimmte und nicht so leicht beeinflussbare Wesen zu formen.

Ich erinnere mich noch an das Gefühl, wie viel Spaß es als Kind gemacht hat, Nein zu sagen. Welches Hochgefühl damit verbunden war. Ich habe das viel zu lange vergessen und beschlossen, dass mit Ende 40 genau die richtige Zeit angebrochen ist, mich mit der Euphorie des Neinsagens in entscheidenden Momenten zu beschenken!

Chefredakteurin Petra Winter hat schon ihre ältere Schwester schwer geprüft, indem sie als Baby im Hochstuhl nach Dingen verlangte, ohne diese benennen zu können. Nur ein Nein half weiter, um ans Ziel zu kommen.