Nachkauf-Peinlichkeit(f.), die

Ein Essay von Petra Winter

Och ne, oder? (Illustration: Hassan Kerrouch)

Kleiner „Cringe-Moment“: wenn zwei im gleichen Kleid auftauchen. Was es damit auf sich hat, wenn die Eine die Andere kopiert

Es waren einmal zwei kleine Mädchen, die lebten in der gleichen Straße, gingen zusammen in die gleiche Grundschule, trugen die gleichen blonden Zöpfe und taten auch sonst ziemlich viele ähnliche Dinge. Natürlich schloss das eine „Doppelte-Lottchen-Garderobe“ mit ein. Ich erinnere mich besonders gut an einen schwarzen Wintermantel mit silber-rosafarbenen Tupfen, den meine Freundin und ich voller Stolz zusammen ausführten. Wir fanden uns cool und unbesiegbar, uns unserer auch optisch gegenseitig versichert, unzertrennlich.

Wer heute seiner besten Freundin ein Kleidungsstück nachkauft, bekommt einen besonderen Platz in der Hölle für peinliche Nachäfferinnen. Wer möchte sich als Erwachsene schon die Blöße geben, so sein zu wollen wie jemand anderes, eine bloße Kopie? Individualität, Unnachahmlichkeit, ein eigener Style sind die Insignien einer reifen Persönlichkeit. Und was soll man mit so einem Teil anfangen? Es nur dann tragen – nach genauer Recherche –, wenn man der Freundin auch garantiert nicht über den Weg läuft?

Wir alle kennen die Rote-Teppich-Desaster prominenter Frauen, wenn plötzlich eine andere im gleichen Fummel auftaucht. Ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse. Was dann hilft? Sich lässig nebeneinanderstellen und auf beste Freundin machen (siehe oben).

Eine solche Souveränität habe ich neulich auf der Fashion Week in Mailand bei Fendi beobachtet. Jede Modemarke hat in der Saison ein paar Key Looks, die vor allem die Influencerinnen bei den Schauen tragen. In diesem Sommer sind das wunderschön gearbeitete, wallende weiße Kleider, weiße Hosen und messerscharf geschnittene Tops. Viele der Besucherinnen aus der ganzen Welt waren nach einer langen Corona-Pause das erste Mal wieder live vor Ort. Es gab viele Frauen, die die gleichen Modelle trugen. Und was soll ich sagen? Man schaute nicht peinlich berührt aneinander vorbei oder verbarg die Augen hinter dunklen Gläsern – wie es manche old fashioned Chefredakteurinnen noch tun –, sondern strahlte sich gegenseitig an, fotografierte sich gemeinsam und freute sich über die doch so unterschiedliche Wirkung, die ein und das gleiche Modell an Frauen verschiedener Größe, Herkunft und Altersgruppe haben. Eine merkwürdige und mitreißende Einheit in der Vielfalt war zu sehen. Vielleicht ist es das, was wir gerade jetzt brauchen. Gemeinsamkeiten betonen statt Individualität hervorheben. Ich finde das kein bisschen infantil. „Great minds think alike“, großartige Geister denken ähnlich, sagen die Amerikaner. Die weißen Kleider sahen übrigens auch an den Vertreterinnen der LBGTQ+ Community großartig aus.

Chefredakteurin Petra Winter würde eine Freundin immer erst vorher fragen, bevor sie ein Teil nachkauft. Manche findet das vielleicht halb so wild, bestätigt es doch ihren guten Geschmack.