Kleinlichkeits-Mimikry, die (f.)

Ein Essay von Nina Berendonk

Erbsen-Pingpong (Illustration: Hassan Kerrouch)

Freundlichkeit steckt an, hat unsere Autorin festgestellt – aber Vorwürfe leider auch. Zum Glück gibt es ein Gegenmittel

Es gehört für mich zu den schönen Seiten des Älterwerdens, dass ich immer großzügiger werde – mit mir selbst und mit anderen. Hätte in meinem Zwanzigern eine gute Freundin meinen Geburtstag vergessen, dann wäre ich mindestens eine Woche verschnupft gewesen. Heute denke ich überhaupt nicht mehr darüber nach, wer gratuliert hat und wer nicht. Erstens ist dieser Tag nicht sooo wichtig, zweitens wird die Qualität einer Freundschaft nicht davon bestimmt, ob man sich einen Handy-Alarm stellt oder nicht. Und drittens haben wir in der Regel so enorm viel im Kopf und auf dem Tisch, dass es ein reines Wunder ist, dass wir nicht noch viel mehr und viel Wichtigeres verschwitzen. Außerdem liebe ich die tollen Frauen in meiner Umgebung fast noch mehr, wenn sie mal richtig verkacken. Vielleicht, weil es hilft, etwas sanfter mit den eigenen Unzulänglichkeiten umzugehen.

Großzügigkeit steckt an – genauso wie Freundlichkeit und respektvolles Verhalten. Zumindest meistens. Und wenn nicht, dann ist das zwar unangenehm, aber man kann sich später zumindest da­rüber freuen, dass man den eigenen Werten und Überzeugungen treu geblieben ist. Richtig doof ist es hingegen, wenn man sich an den Schattenseiten seiner Mitmenschen ansteckt. Sehr leicht, kann ich aus eigener Erfahrung berichten, passiert das mit Kleinlichkeit.

So geschehen mit meiner Freundin J., die eigentlich eine großartige Frau ist, aber eine furchtbare Erbsenzählerin. Was passieren würde, wenn ich ihren Geburtstag vergäße, darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Mir reichen schon ihre eingeflochtenen Mikro-Vorwürfe, dass man ihr beim letzten Biergarten-Abend nicht Bescheid gegeben, nicht schnell genug zurückgerufen oder ihr kein Glück für die Weisheitszahn-OP gewünscht habe. J.s hohe Ansprüche und ihre Kränkbarkeit sind das eine. Viel schlimmer aber finde ich, wenn ich mich dabei erwische, wie ich selbst plötzlich Erbsen zur Verteidigung zähle. Sie hat nicht auf meine letzte SMS reagiert? Pling, eine Erbse in meine Muni­tionsbox. Sie war ohne mich in dem Film, von dem wir neulich gesprochen haben? Pling. Bevor ich mich auf Erbsen-Pingpong einlasse, kann ich mich in der Regel bremsen. Aber es ärgert mich, wenn ich mich provozieren lasse, klein zu denken, und mir damit selbst unsympathisch bin.

Ich habe nun beschlossen, auch hier Großzügigkeit walten zu lassen. J. gegenüber, die aufgrund ihrer Haltung oft enttäuscht wird. Und mir selbst gegenüber. Dann sind J. und ich eben manchmal beide doof. Sie habe ich doch schließlich auch lieb, trotz ihrer Fehler. Oder gerade deswegen.

Autorin Nina Berendonk empfiehlt zu diesem Thema das sehr lustige Buch von Alexandra Reinwarth: „Auf meine Schwächen ist wenigstens Verlass – Wie Du entspannst, wenn Du deine Fehler liebst“, mvg Verlag.