Jobflucht-Fantasien, die (f.)

Ein Essay von Alexandra Berger

Wenn der Traum es aus dem Tagebuch schafft (Illustration: Hassan Kerrouch)

Nach jedem Urlaub spuken sie uns im Kopf herum: Ich-will-raus-hier-Träumereien. Die sind weit vernünftiger, als man meint …

Unser Verhältnis zur Fantasie und den Blüten, die sie treibt, ist gespalten. Künstler*innen und andere Kreative werden für die Früchte ihrer Vorstellungskraft gefeiert. Der Rest der Menschheit aber soll sich doch bitte an die Vernunft halten und von Träumereien absehen, die angeblich eh zu nichts Sinnvollem führen. Dabei sind Fantasien – vom Duden als „Produkt der Fantasie, (nicht der Wirklichkeit entsprechende) Vorstellung“ definiert – laut Psychologen ein durchaus sinnvoller Weg, negative ­Erfahrungen zu bewältigen. Etwa das Ende der Ferien beziehungsweise die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Man muss seines Jobs nicht überdrüssig sein und – wie laut Umfrage aktuell fast jede*r fünfte Beschäftigte in Deutschland – innerlich die Kündigung aus­gesprochen haben. Auch wer seine Arbeit schätzt, verliert sich, wie ich nach drei Wochen Inseleuphorie in Griechenland, in Jobflucht-Fantasien: mediterranes Flair statt urbaner Bürolandschaft, ­Leben im eigenen Takt statt von Terminen bestimmt, mal was anderes machen …

Allerspätestens nach zwei Wochen ist der Post-­Holiday-Katzenjammer normalerweise vorbei, die Jobwelt wieder in Ordnung, und alles läuft wie gehabt. Heißt gut. Eigentlich. Denn mit den Jahren hat sich das „wie gehabt“ bei mir vom Zufriedenheitsgaranten in einen Sehnsuchtsgenerator trans­formiert. Und der lässt die Jobflucht-Fantasien nun rund ums Jahr blühen: mediterranes Flair und so ­weiter, Sie wissen schon … Experten-Ratschläge, wie sofort den nächsten Urlaub planen, sind da zu kurz gegriffen, sie haben ihre Wirkung bei mir längst verloren.

Was also wäre, wenn man dem verführerischen Flüstern der eigenen Fantasie nachgibt und die Stimme der Vernunft befragt, wie aus vagen Träumereien ein gelebter Traum werden könnte – natürlich ohne dass man sich dabei selbst aus der im Grunde geliebten Komfort­zone katapultiert, sondern diese im Gegenteil erweitert. Mir jedenfalls hat die Vernunft geraten, nicht etwas anderes zu machen, sondern das Gleiche einfach mal woanders. Zumindest ein paar Wochen im Jahr. Sicher, auch anderswo grüßt täglich das Murmeltier – aber grüßt es dort nicht irgendwie freundlicher?

„Im Reich der Wirklichkeit ist man nie so glücklich wie im Reich der Gedanken“, unkte Arthur Schopenhauer, der ewige Pessimist. Im Reich meiner Fantasie sehe ich mich in einem mallorquinischen Städtchen auf einer Dachterrasse sitzen, über mir die Frühlingssonne, vor mir mein Notebook, die Nachbarskatze schnurrt auf meinem Schoß … Optimistin, die ich bin, buche ich jetzt gleich mal Flüge für kommenden April.

Autorin Alexandra Berger ließ sich von ihrer Fantasie schon in der Kindheit die schönsten Luftschlösser bauen. Ein paar davon haben tatsächlich den Sprung in die Realität geschafft.