Heiterkeit ist eine Möglichkeit

Ein Artikel von Axel Hacke

Heiterkeit kennt keine Grenzen (Foto: Adriano Russo)

Wie bleibt man auch in harten Zeiten heiter? Axel Hacke hat ein ganzes Buch darüber geschrieben – und verrät in seine Gedanken dazu

1. Der Besuch im Café morgens vor der Arbeit: eine Viertelstunde unter Leuten sein.

2. Trainiere das Zuhören. Erst wenn dir jemand zuhört, kannst du, was du erlebt hast und was in dir rumort, zueiner Geschichte formen, und erst, wenn du es zurGeschichte geformt hast, kannst du es ablegen, und erst, wenn du es abgelegt hast, bist du frei, dich für etwasNeues zu entscheiden, weil du kein Gefangener der altenGeschichte mehr bist. Tu das für andere und für dich selbst.

5. Lächle über dich selbst. Deine Anstrengungen, deine vergeblichen Versuche, deine Mühen.

6. Spielen ist heiter, nicht wahr? Ich würde für das, was ich beim Schreiben empfinde, das Wort „spielen“ benutzen, Schreiben ist Spielen, mit Sprache, Figuren, Leben. Spiel so oft du kannst und was du kannst.

7. Sich selbst morgens im Spiegel eine Minute lang anlächeln! Mache ich jeden Tag.

8. Lächeln kann eine Kettenreaktion in Gang setzen. Man lächelt jemanden an, er lächelt zurück. So komm ein Lächeln in die Welt und wandert weiter. Man muss halt anfangen.

9. Mehr Loriot wagen: Er hat das Komischein der Einsamkeit und Unfähigkeit gesehen und daraus nicht nur extrem Lustiges, sondern auch sehr Tröstliches gemacht.

11. Und hier ist eine weitere Antwort auf diese Frage, wie man es anstellt, ein heiterer Mensch zu sein. Sie lautet: Vergiss genau diese Frage! Oder wenn du das nicht kannst oder willst, dann glaube nicht, dass irgendjemand anders dir darauf eine Antwort geben wird als du selbst. Erwarte kein Rezept, keine Pillen, keine Heiterkeitstherapie.Hoffe nicht auf andere, sondern schau dir selbst das Leben an. Beobachte, was es mit dir gemacht hat und weiter macht und was du mit ihm machen willst. Was tut dir gut? Was hat dich heiter gestimmt?

12. Auf dem Friedhof bei mir um die Ecke liegt ein General namens Angstwurm begraben. Den besuche ich oft.

14. Ich betrete jede Buchhandlung, an der ich vorbeikomme. Seit ich ein Kind war, haben Regale voller Bücher eine das Leben erleichternde Wirkung auf mich: all die Geschichten, die Möglichkeiten zu leben, das Leben anders zu sehen als ich.

15. Philosophisches Alltags-training: Gelassenheit statt Selbstgewissheit.

17. Heiterkeit ist kein weiterer Auftrag, der alles wieder einschränken würde wie die meisten anderen Aufträge, die man so im Leben mitbekommt: Sei fleißig und leiste viel, versuch, immer der Beste zu sein. Sei heiter!? Darum geht es nicht, im Gegenteil. Es geht nicht um ein Muss, es geht um ein Könnte. Heiterkeit ist eine Möglichkeit.

18. Zeichnungen von Sempé betrachten, denn sie verwandeln all die nicht schönen Gefühle, die zu unserem Leben gehören, in etwas Glücklicheres.

19. Man kann beides sein, untröstlich und heiter, zugleich oder nach-einander, wie auch immer.

21. Faschisten, Nazis, Diktatoren kennen Lachen entweder gar nicht oder nur als Lachen über andere, als Verhöhnen, Verlachen, Verspotten, Amüsement über fremdes Leiden. Könnten sie über sich selbst lachen oder lächeln, hätten sie irgendeine Art von Distanz zum eigenen Leben, dann wären sie keine Faschisten, Nazis, Diktatoren.

23. Ich versuche jeden Tag, jemand anderes zu bewundern für die Art, wie er sein Leben meistert.

25. Täglich den nicht-ernsten Blick auf das Leben üben.

26. Schreiben heißt für mich, das Erstarrte in Bewegung zu bringen, das Schwere in die Luft zu heben und es einfach dort schweben zu lassen, das Lustige im unerklärlich Tristen zu finden und am Ende eines schummrigen Tunnels plötzlich ins Licht zu treten. Es heißt für mich, Distanz zum eigenen Leben zu finden, die man auch mit allen anderen möglichen Mitteln suchen kann: der Medita­tion, dem Spaziergang, dem Lesen, der Musik, der Kunst, der Philosophie, der Natur, dem Sport.

27. Was ist es genau, was mich nach einem Spaziergang über eine Bergwiese voller Blumen, Regenwürmer, Schmetterlinge heiter stimmt? Ich vermute: Es ist die kindlich-naive Form der Beschäftigung mit der Welt, das Erstaunen über kleine Dinge, das absichtslose Beobachten. Um das alltägliche Vergessen meines kleinen, angestrengten, müden, erschöpften Selbsts.

Axel Hacke ist Journalist, Kolumnist und Bestseller-Autor. Die Heiterkeit wurde auch ihm nicht in die Wiege gelegt. „Aber man kann sie sich erarbeiten.“

Axel Hacke (Foto: Matthias Ziegler)
Das Buch „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten …“ ist bei Dumont erschienen