Gute-Vorsatz-Rebellion,  die (f.)

Ein Essay von Carmen Färber

Aus Prinzip (Illustration: Hassan Kerrouch)

Die einen erliegen nach Silvester dem Selbstoptimierungsdruck, andere zelebrieren ihre Laster – auch ein wenig aus Protest

Natürlich habe ich Laster, einige sogar. Allen voran das Rauchen. Vor allem an stressigen Arbeitstagen. Oder wenn ich Kaffee trinke. Oder mit Freundinnen tratsche. Und spätestens, wenn Alkohol fließt (auch ein Laster), steigt mein Tabakkonsum exponentiell an. Daran sollte ich arbeiten. Muss ich arbeiten. Irgendwann. Denn grundsätzlich habe ich nichts gegen das Fassen guter Vorsätze. Ich erachte es sogar als essenziell, meinLeben regelmäßig kritisch zu hinterfragen. Was kann ich besser machen? Welche Muster sollte ich ablegen?

Allerdings nerven mich Leute, die sich zu Silvester meist überambitionierte Vorsätze aufzwingen, sich die ersten zwei Wochen im neuen Jahr kasteien und danach wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Meine alte Schulfreundin ist das Paradebeispiel dafür. Same procedure as every year – jedes Jahr der gleiche Satz: „Zum neuen Jahr höre ich auf mit dem Rauchen. Das habe ich mir fest vorgenommen. Und Alkohol natürlich auch weniger.“ (Auch bei ihr gehen Alkohol- und Tabakkonsum Hand in Hand.) Durchgezogen hat sie es in den 15 Jahren, die ich sie nun kenne, aber nicht. Stattdessen quält sie sich wieder und wieder durch die zwei obligatorischen Abstinenz-Wochen. Und mich gleich mit. Wenn wir uns in dieser Zeit treffen, habe ich nur mäßig Spaß …

Unsere sonst favorisierten Themen – Dates, Sex und ein wenig Klatsch – weichen ihrem Monolog darüber, wie wertvoll die aktuelle Enthaltsamkeit für ihren Körper und ihre Seele doch sei. Wie gut das tue. Wie vernünftig es ist. Ihr oberlehrerhafter Erguss mündet meist in den Fragen: „Willst du nicht auch aufhören?“ und „Hast du dir wirklich gar nichts für das neue Jahr vorgenommen?“ Gegen solche Bekehrungsversuche bin ich resistent. Mehr noch – in diesen Momenten meldet sich die Rebellin in mir und bestellt demonstrativ den edelsten alkoholischen Tropfen, den das Lokal zu bieten hat. Fragt den Kellner sogar, ob man das Glas noch ein bisschen voller machen könnte – am besten randvoll. Und während meine Freundin an ihrer Apfelschorle nippt und denkt, ich sehe nicht, wie sie nervös meine Zigaretten anschielt, verabschiede ich mich kurz vor die Tür und zünde mir mit zeremonieller Andacht eine an. Die schmeckt auf einmal besonders gut. Dazu ein Schluck, genussvoll geschlürft. Köstlich. Nicht förderlich für die Gesundheit, klar. Aber die Rebellin in mir grinst schelmisch und freut sich schon darauf, wenn die zwei Wochen endlich rum sind und wir wieder gemeinsam stilvoll unseren Lastern frönen können – das eine oder andere darf man sich ja wohl noch gönnen.

Autorin Carmen Färber fasst aus Prinzip keine guten Vorsätze fürs neue Jahr. Sie bezeichnet sich selbst als Genussraucherin und -trinkerin und möchte das auch erst mal bleiben.