Entspannungsstress, der  (m.)

Ein Essay von Eva Meschede

Wie geht das "An nichts denken"? (Illustration: Hassan Kerrouch)

Kurze Pausen sind gesund. Doch was tun, wenn das Gehirn nicht mitspielt?

Stress ist eine schlimme Sache und Entspannung so wichtig. Wenn sie fehlt, warnen Ärzte, läuft der Körper ständig auf Hochtouren, und Stresshormone können nicht mehr abgebaut werden. Regelmäßiges Innehalten dagegen senkt den Blutdruck, stabilisiert das hormo-nelle Gleichgewicht, stärkt das Immunsystem, reguliert den Blutzucker und hilft gegen Schlafstörungen. Das alles möchte ich auf jeden Fall. Deshalb habe ich mir vorgenommen, besonders wenn die Deadlines sich häufen und die To-do-Liste zum Ausklappen lang ist, den Expertenrat zu befolgen: Alle 90 Minuten einfach mal Pause machen. Einfach – sagt sich so leicht …

„Atme langsam und tief nach der 4-6-8-Methode: Einatmen, bis vier zählen, die Luft anhalten, bis sechs zählen, langsam durch den Mund ausatmen und bis acht zählen. Das Ganze wiederholst du fünf Mal. Du wirst sehen, dass sich bei richtiger Anwendung ein angenehmes Gefühl der Entspannung entfaltet.“ Doch leider entfaltet sich bei mir gar nichts. Mein Gehirn kann nämlich multitasken. Es kann es nicht nur, es macht es. Einfach! Es task forced sich hin, wo es will, ich habe dabei offenbar nicht mitzureden. Es sitzt im Geiste schon längst wieder am Schreibtisch und denkt über die Steuererklärung nach oder hirnt an diesem Text herum, während ich wie eine leere Hülle vor mich hinzähle und atme. Nur ungern widmet sich mein Gehirn solch lapidaren Aufgaben. Nach dem Motto: Bis acht zählen kann ich schon seit der Kinderkrippe, atmen seit der Geburt. Warum soll ich mich damit aufhalten? Wichtige, dringende Herausforderungen warten. Die Entspannungspause: der pure Stress.

Das hänge mit den Gehirnwellen zusammen, erklärt mir eine Freundin, die seit Jahren meditiert. Alpha-Wellen seien Gehirnwellen, die in Entspannung auftreten. Besonders begehrt seien bestimmte Theta-Wellen, die sorgten für einen besonders konzentrierten, meisterlichen Ruhezustand. Doch diese Wellen wogen nicht einfach heran, weil ich es so will, sie erfordern vor allem eines: Übung, Übung, Übung! Ein in den Techniken unerfahrener Mensch wird nicht sofort in den Zustand innerer Ruhe, Wohlgefühl und Entspannung versetzt, bloß weil er mal das Fenster aufmacht und atmet. Er steht weiter unter dem Einfluss von wachsamen und aufgeregten Beta- und Gamma-Wellen. Die müsste ich erst einmal ausschalten. Aber wie?

Ich befolge den Rat der Zen-Freundin, entstaube meine Yogamatte und lege mich fortan bei der Atemübung hin, das soll die Ruhewellen leichter aus dem Hinterhalt locken. Täglich quäle ich nun mein Gehirn mit Zählen und Atmen. Ein paar Mal schlafe ich dabei ein. Das ist nicht ganz im Sinn der Übung, aber auch entspannend. Schließlich klappt es, mein Gehirn ist ganz im Hier und Jetzt des Atmens. Ich bin mir nicht sicher, ob das vielleicht daran liegt, dass die Steuererklärung erledigt und auch dieser Text endlich geschrieben ist. Doch wer weiß, eventuell bin ich jetzt auf dem richtigen Weg zur Entspannungs-Meisterin – Om.