Eierlikör und Mental Load

Ein Essay von Anna Gonzales-Laroche

Catlady (Foto: Zeb Daemen)

Was wäre Weihnachten ohne eine Frau, die an Schleifenband, Fotokalender und Oma Sigrid denkt? Wer aber hat entschieden, dass wir das so gut können – und auch wollen?

Wir haben in unserem Haus eine Weihnachts-Tradition: Wird es stressig, trinken wir einen Eierlikör. Für Nachschub sorge stets ich, und nach Weihnachten ist wieder Schluss damit. Ich will gerade beim Geschenkeeinpacken mit meinem Mann anstoßen, da stolpere ich in meiner Instagram-Timeline über Folgendes: „Wenn eine Frau etwas für zwei Minuten in die Mikrowelle stellt, räumt sie zwischendurch die Geschirrspülmaschine aus, hängt zwei Maschinen Wäsche auf, koordiniert drei Arzttermine und gebärt vier Kinder. Stellt ein Mann etwas für zwei Minuten in die Mikrowelle, beobachtet er, wie der Teller sich dreht.“ Ich lese diesen provokativen Joke grinsend meinem Mann vor und erwarte Protest – und er stimmt zu: „Warum auch nicht?“

Wollen & Können

Da bleibt mir der essbare Waffelbecher mit meinem Eierlikör doch im Halse stecken. Stellvertretend für seine ganze Gattung gibt er aufrichtig zu, gar keine Ambitionen zu haben, etwas von diesen kleinen, wichtigen Alltagsdingen erledigen zu können-wollen. Etwa den kleinen Korb an Sammelsurium-Dingen, der ewig am Fuß der Treppe stehen bleibt, weil ihn „keiner sieht“ und nach oben trägt. Oder der Beitrag zum Kuchenbüfett beim Elternsprechtag. Die Gestaltung der Weihnachtskarte für unsere Freunde. Das Weihnachtsgeschenk für Oma Sigrid … Mein Mental-Load-Konto springt beim Gedanken an die Feiertage gerade in den roten Bereich.

Schon mal von Mental Load gehört?

Das ist schon sowas sehr typisch Weibliches. Männer haben keinen Mental Load. Gemeint sind damit die unsichtbaren To-dos, die vor allem Frauen tagtäglich abarbeiten. Quasi das Projektmanagement des Lebensalltags, und zwar egal ob mit oder ohne Kinder: Bedürfnisse antizipieren, Optionen abwägen, Entscheidungen treffen, Abarbeitungsstand kontrollieren. Ständig rattert in den Köpfen der Frauen eine Liste im Kopf, mit der der Alltag aufrechterhalten wird. Und wer nun glaubt, das sei so ein „Familiending“, der schaue im Job mal ganz genau hin, wer meist die Fäden in der Hand hält, wenn Mann und Frau zusammenarbeiten …

Weibliches Planungsgenie

Okay, Männer machen ja auch viele Dinge, die wir Frauen heute theoretisch ebenso gut können, einfach überzeugender. Zum Beispiel den Weihnachtsbaum fällen und aufstellen. Die Geschirrspülmaschine reparieren, damit sie das Weihnachts-Festessens-Geschirr spülen kann (man stelle sich vor, was sonst wäre … OMG!). Und für die Nachbarskinder den Weihnachtsmann spielen. Aber Weihnachten wäre in den meisten Familien und Paarbeziehungen ohne weibliches Planungsgenie wohl etwas weniger glitzernd, üppig und geschenkeintensiv. Und die Koordination von Kirchgang, Essensmenü, Weihnachtsbesuch im eigenen Haus, Pflichtbesuch bei den Schwiegereltern und Brunch bei der Großtante wäre deutlich angespannter.

Ein Teufelskreis

Mich macht das alles vor allem eins: müde. Während ich also in meinem Insta-Feed weiterscrolle, finde ich folgende interessante Info: Frauen brauchen mehr Schlaf als Männer. Warum? Wegen Multitaskings! Eine Studie ergab: Über 50 Prozent der Frauen braucht mindestens acht Stunden Schlaf pro Nacht – aber nur 39 Prozent der Männer. Der höhere Schlafbedarf liegt demnach daran, dass wir unser Gehirn intensiver nutzen und es deswegen mehr Zeit zur Erholung braucht. Unsere Gehirne sind tagsüber stärker belastet, weil wir mehrere Dinge gleichzeitig tun und mental flexibler sein müssen. Da wir aber gleichzeitig viel mehr als Männer dazu neigen, uns Sorgen über alles Mögliche zu machen (wird das vegane Menü auch Onkel Bertram schmecken?), kann das den Schlaf verschlechtern. Ich fasse mal zusammen: Wir leisten die überwiegende Denkarbeit, brauchen deswegen mehr Schlaf und schlafen schlechter, weil wir so viel denken. Na wunderbar!

Mir kommt da jetzt ein Gedanke – und ich gebe mir Mühe, dass dieser Gedanke allein bleibt: Sofa. Jetzt. Wie wird Heiligabend wohl sein, wenn ich mein Mental Load-Konto schließe, die Beine hochlege und einfach mal abwarte, was passiert? Ich höre die von meinem Mann angestellte Mikrowelle surren (Was ist da wohl drin? Ein veganes Würstchen vom Heiligabend-Menü?), versuche es zu ignorieren und „Sissi“ zu gucken. Einfach herrlich. Es werden sicher unvergessliche Weihnachten, in vielerlei Hinsicht. Darauf ein Eierlikörchen!