Die Kunst des Alleinseins

Ein Essay von Bettina Billerbeck

Balance (Foto: Jaap Strijker)

Für Introvertierte (auch die heimlichen, die im Job die „Rampensau“ spielen) ist Rückzug die beste Kraftquelle – und die Solo-Zeit will zelebriert werden

Meine Friseurin fragt mich manchmal: „Und, hast Du dieses Wochenende etwas vor?“ Manchmal sage ich dann: „Nichts!“ und es kommt euphorischer heraus als beabsichtigt, und ich sehe im Spiegel meine Augen leuchten. Meine Friseurin ist bestimmt 15 Jahre jünger als ich und schüttelt bei meine Antwort lächelnd den Kopf. Alleinsein? Ab und zu liebe ich es, je älter ich werde, umso mehr. Ein Wochenende ohne Pläne wird für mich nur getoppt von einem Wochenende allein zu Hause ohne Pläne. Für andere bestimmt eine Horrorvorstellung oder erstes Anzeichen sozialen Scheiterns, für mich der pure Luxus.

Keine Zeitverschwendung

Wenn ich allein bin, bin ich wirklich bei mir. Dann lebe ich nach meinem eigenen Rhythmus – „beating my own drum“, wie es so schön heißt. Ich entscheide, wann ich aufstehe, und ob ich kurz darauf mit Kaffee und iPad wieder ins Bett steige. Wie herrlich ist es, Agenda-frei in den Tag zu schlendern, ohne dass schon nachmittags eine Verabredung ansteht („Kaffee & Kuchen“ für Zeitverschwendung zu halten, liegt in meiner Genetik mütterlicherseits). An diesen Tagen räume ich sogar gern auf oder sortiere Dinge, bestenfalls auch die historischen Papierstapel auf dem Küchentisch oder Kosmetik-Reisegrößen. „Zeitumstellung im Kleiderschrank“ ist eine wunderbare Mini-Katharsis: Alles einmal in die Hand zu nehmen, vielleicht auch festzustellen, dass man eigentlich ausreichend schöne Dinge besitzt, sie nur zu wenig nutzt, ist auch so eine Alleinseins-Erkenntnis. Sich sein Zuhause durch reine Anwesenheit und liebevolle Pflege wieder zu eigen zu machen und dann so kräftig wie möglich zu wohnen, kann ich auch nur empfehlen.

Nie nur eine Hälfte

Alleinsein ist die Energiequelle der exponierten Introvertierten, die gern unter Leuten sind, aber bei drohender „Übermenschung“ Fluchtgedanken bekommen. Ich bin schon als kleines Mädchen nicht gern in diesen fürchterlich lauten Kindergarten gegangen, sondern saß am liebsten zu Hause an meinem Tischlein und habe gemalt. Als Schülerin fand ich es ideal, mich mit zwei bis drei Freundinnen zu treffen – nette, kleine Runde, aber man hat keine ständige „attention“. Extrovertierte laden ihre Batterie auf, indem sie in der Menge baden und vor Publikum auf Sendung gehen, bei Menschen wie mir ist es umgekehrt. Ich gehöre zu denen, die gern übers Wochenende Freunde besuchen, dann aber im Hotel wohnen möchten. Ich feiere gern und ausschweifend, brauche am nächsten Tag aber Silentium.

Wahrscheinlich genieße ich das Alleinsein nur so, weil ich grundsätzlich nicht allein bin. Man kann liebend gern zu zweit sein (selbst im Lockdown), ohne ständig alles als Paar erleben und erledigen zu müssen. Wer gut allein sein kann, fühlt sich nie wie eine Hälfte.