Detox für Augen & Seele

Ein Artikel von Simone Herrmann

Das Auge entspannt mit (Foto: Mr. Tripper)

In fünf Hotels sorgen Designer und zwei Galeristen-Paare für eine ästhetische Auszeit

The Fife Arms, Schottland

Die Grampian Highlands vor den Fenstern sind tannengrün und violett, rau und lieblich. Tiefe Schluchten und grell sonnige Höhenzüge gibt es, klare Bäche, Erlen, Ebereschen und Damwild, das abends aus den Wäldern kommt … Einst eine hunting lodge, die der Duke of Fife 1856 von Alexander Marshall Mackenzie erbauen ließ, wurde das Anwesen zum Hotel, eine viktorianische Mittelalterfantasie im Tudor-Stil, die ein Jahrhundert lang vor sich hin bröckelte. Bis Manuela und Iwan Wirth vom Verkauf hörten. Mit der Durslade Farm, ihrer Galerie-Dependance in Somerset, hatte sich das Kunstpaar bereits als Fans des britischen Landlebens geoutet, jetzt also ein 5-Sterne-Hotel in Braemar. „Nichts soll einfach nur schön oder funktional sein im Fife Arms.

Wir müssen über jedes einzelne Stück eine Geschichte erzählen können“, trug Iwan Wirth den Architekten von Moxon Architects und Interiordesigner Russell Sage auf. Und so zogen bis heute rund 16 000 Antiquitäten, kurios-schnurrige Objekte und eminente Kunstwerke ein, darunter Gemälde von Picasso, Lucian Freud und Gerhard Richter, sogar eine Hirschkopfzeichnung von Queen Victoria gibt es. Und – klar! – einen hauseigenen grünen Tartan. 46 Zimmer, die von Hauser & Wirth-Künstlern gestaltet wurden, als wären sie mal eben zum Renovieren vorbeigekommen – Richard Jackson, Bharti Kher, Zhang Enli … „Ich wollte, dass es sich anfühlt, als hätte man ein schottisches Herrenhaus geerbt, voller alter Familienstücke und mit der spektakulärsten Kunstsammlung, die Sie je gesehen haben“, erklärt Russell Sage. Mission accomplished. Es wurde ein Haus, das Geschichten erzählt. Von Bonnie Prince Charlie und Lord Byron, und davon, dass hier Picasso und Queen Victoria miteinander Tee trinken. Zumindest in der Fantasie. Denn genau darauf kommt es in diesem Gesamtkunstwerk von einem Hotel an. In andere Geschichten eintauchen, um die eigene besser zu verstehen.

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The India Suite (Foto: Sim Canetty Clarke)

AMAN, Tokio

Genau, die Szene aus „Lost in Translation“: Scarlett Johansson sitzt in der Dämmerung am Hotelfenster und schaut auf die Skyline von Tokio. Es ist wohl einer der traumverlorensten Momente der Kinogeschichte. Im „Aman“ ist dieses Aus-dem-Fenster-Schauen ästhetisches Konzept. Alle Zimmer in den letzten sechs Stockwerken des 200 Meter hohen Otemachi-Tower sind auf das Großstadtpanorama im Fensterrahmen ausgerichtet, die Betten, die Anordnung der Möbel – eine Feier des rechten Winkels. Die bodentiefen Fenster sind wie Shojis, die beweglichen Papierwände des traditionellen japanischen Hauses gestaltet. Blondes Holz, fein kanneliert und seidenweich gehobelt, maßgefertigte Holzmöbel, schwarzer Granit in den Bädern, Washi-Papier, mit Ripsbändern eingefasste Bastmatten, die Bettwäsche aus blütenzarter Baumwolle, ein Kanji an der Wand. Mehr nicht. Sie sind Tempel, diese Zimmer. Schreine für den Sonnenschein, die Dämmerung und für die glitzernde Nacht, in der Myriaden elektrische Lichter aufglimmen und den Verkehr tief unten in goldene Ströme verwandeln. So viel Raum!

Ein atemberaubender Luxus, wenn man die winzigen Tokioter Apartments kennt. Die größte Suite hat 157 Quadratmeter und blickt auf die Baumwipfel des Otemachi Forest mitten in der Stadt; den Pool säumen hohe Kolonnaden aus Granit und die Spiegelungen der kleinen Fensterausschnitte tanzen wie Papierblättchen auf dem Wasser. Man erfährt in diesen Räumen mehr über japanische Kultur, als es eine Sightseeing-Tour je vermitteln könnte. Diese seidigen Oberflächen, die Präzision der Linien, die Lichtregie, die jeden Gegenstand tief im Innern beleuchtet! Es ist dieselbe Harmonie, die ein Besuch bei einem Ikebana-Meister oder einer Geisha mit ihren schwebend-hypnotischen Bewegungen auslöst. Acht Millionen Götter, so der Shinto-Glaube, wohnen in den Dingen, in großer Kunst genauso wie in Alltagsgegenständen. Acht Millionen Götter auf dem Grund einer Teetasse – und in diesem Hotel.

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Accommodation Deluxe Room (Foto: Nacasa & Partners)

Regina Experimental, Biarritz

Wie Theaterlogen wirken die runden Balkone des Grand Hotel Regina an der Steilküste zwischen Anglet und Saint-Jean-de-Luz. Einer jener sahnig weißen Paläste der Belle Époque, die Biarritz zum Hotspot der internationalen Society machte. Auch Coco Chanel verbrachte hier vor dem ewigen Schauspiel des Meeres ihre Ferientage. Wie eh und je spitzt der berühmte Leuchtturm, le phare de Biarritz, zu den Zimmern auf der Meerseite herein. Und im grandiosen 15 Meter hohen Atrium mit drei umlaufenden Arkadengängen und Glasdach, das Henri Martinet 1906 entwarf, wird die Zeit der Ozeandampfer wieder lebendig.

Obwohl: „Es war mir wichtig, die Belle Époque ins Hier und Jetzt zu holen“, sagt die Pariser Designerin Dorothée Meilichzon, die zwischen Venedig und New York schon so manche legendäre Destination, Hotels, Restaurants, Clubs, erfrischt hat. So mixte sie das glamouröse Flair des Fin de Siècle mit den Elementen der neobaskischen Architektur der Gebrüder Gomez, deren gesprengte Giebel und gerundete Geometrien sie in ihren Bedheads und in den eigens entworfenen Canapés und Sesseln wieder aufgriff. „Dazu Lackfarben“, erklärt Meilichzon, „schließlich sind wir am Atlantik.“ Blau und Ozeangrün, Mint und Schwarz-Weiß-Kontraste zum dunklen baskischen Rot, Lichtblau und Stuckweiß, Streifenstoffe, Leuchten aus Reispapier, seidenbezogene Paneele, Strohmarketerien an den Wänden und kunstvolle Keramiken – selbst die Speiseteller sind Unikate.

„Ich wollte, dass das Meer die Hauptrolle spielt.“ Deshalb ließ sie Basreliefs mit Unterwassermotiven und Muschelleuchten anfertigen, Spiegel mit Tauen und Lämpchen mit Schnur umwinden. Die Nischen im Restaurant gestaltete sie wie baskische Strandhütten mit kleinen Vordächern. Interieurs für das Blau und das Licht, das hier die Zimmer flutet. Für dieses Brausen, in dem das Bewusstsein von Zeit und Raum verschwimmt: das Meer, jetzt!

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Frenchie Biarritz (Foto: Mr. Tripper)

Dá Licença, Alentejo

Als wäre ich in das Land aus den Märchen meiner Kindheit gekommen“, sagt Victor Borges. Eingewiegt in die Hügellandschaft des Alentejo wie in ein Wiegenlied. Wo zwischen Marmorfelsen und 13 000 Olivenbäumen die Mauern eines alten Gehöfts standen. „Die Farben vibrierten, und die Luft war so rein und klar, man konnte bis nach Estremoz und in die Weinberge sehen“, erzählt Franck Laigneau. Die Reise ins Alentejo sollte nur eine kurze Auszeit sein für den Hermès-Designer und den Art-nouveau-Galeristen aus Paris, ein bisschen runterschalten. Aber das Gefühl, gerade hierher zu gehören, in dieses Land, „in dem alles noch so unberührt war und die Menschen die Dinge ihres täglichen Gebrauchs selbst herstellten, wo eine Keramikschale so schön ist wie ein Kunstwerk und das Essen frisch aus dem Garten oder aus dem Meer kommt, begeisterte uns“, sagt Borges. Und so kauften sie die Ölmühle samt 120 Hektar Land und ließen die Wirtschaftsgebäude vom Architekturbüro Procale und hiesigen Handwerkern in ein Hotel umbauen. „Dá Licença“, Portugiesisch für: „Wenn Sie erlauben“, nannten sie es. Neun Suiten mit eigenen Pools und Patios. Bei Nacht wirken die strahlend weiß gekalkten Gebäude mit dem zentralen kreisrunden Pool wie vom anderen Stern, eine lichterfüllte, futuristische Vision.

Wer nun aber vom Äußeren auf das Innere schließt, wird überrascht. Nicht durch die kühlen Granitfliesen oder die persianas (viel besser als Air Condition!) – es sind die Gemälde und Objekte aus Laigneaus Sammlung, Skandinavischer Jugendstil und Wiener Sezession, aber vor allem die anthroposophischen Holzmöbel, Betten, Schränke, Kommoden, einige von der Hand des Norwegers Lars Kinsarvik. Wie aus Baumstämmen geschlagen, klobig, aber beschwingt, jenseits aller Norm. „Man fühlt sich darin geborgen“, sagen Borges und Laigneau. Eingewiegt in einen glücklichen Traum.

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Elegante Ruhe (Foto: PR)

Crillon le Brave, Provence

Petrarca hat „den Windumtosten“ 1336 beschrieben. An klaren Tagen kann man auf dem Gipfel des Mont Ventoux das Mittelmeer, die Alpen und die Pyrenäen sehen. Die Bergtour des Dichters markiert den literarischen Wendepunkt vom Mittelalter zur Neuzeit. Seit jeher galt die Provence als Land der Troubadoure. Vielleicht, weil sich hier die Linien von Bergen und Tälern so melodisch zusammenfinden und die Farben wie auf einer Ton­leiter von silbrigem Olivgrün, Rosa, Lavendel, Ocker und Ziegelrot bis zum Schwarz-Grün der Zypressen spielen. „Das verwaschene Hellblau der Fensterläden nicht zu vergessen“, sagt der Pariser Designstar Charles Zana, der das 5-Sterne-Hotel im Bergdorf Crillon-le- Brave, nordöstlich von Carpentras gestaltete.

Eines dieser großen, verschwiegenen Herrenhäuser der Provence, die, mehrere Stockwerke hoch und karg möbliert, mit Truhen, gemauerten Kaminen und meterdicken Steinwänden eher an Burgen als an Häuser erinnern. Zana hat das Mobiliar nicht karg, sondern wohl dosiert: Keramiken und Handgeschmiedetes kombinierte er mit Louis-Seize-Stühlen und gedrechselten Bureaus aus dem Fin de Siècle, dazu maßgefertigte Möbel aus seinem Atelier, die Canapés sind mit softem Leinen in Cremeweiß oder Mandelgrün bezogen, die Vorhänge floral bedruckt. Alles schmeichelt den Augen, Fingern und Zehen – glasierte Fliesen, tommettes werden die sechseckigen, rot gebrannten hier genannt; jeder Türgriff, ob aus Metall oder Holz, liegt massiv und irgendwie tröstlich in der Hand.

Der Berg grüßt zur Hotelterrasse herüber. Und im mirabellfarbenen Abendlicht wirkt das Poolblau plötzlich wie einer jener leuchtenden Farbflecke auf den Gemälden von Paul Cézanne, der aus dieser Landschaft seine mit Sonne gemischten Farben nahm, und die Welt neu malte. Die Montagne Sainte Victoire, den Mont Ventoux. Ja, der „Windumtoste“ grüßt herüber, man grüßt zurück – und lächelt.

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Deluxe Ventoux Junior Suite (Foto: Mr Tripper)