Abend-Absage-Erleichterung, die (f.)

Ein Essay von Petra Winter

Und jetzt zurücklehnen (Illustration: Hassan Kerrouch)

Das Aufatmen, wenn einem unverhofft freie Zeit geschenkt wird – auch wenn man sich total aufs Ausgehen gefreut hat, logisch

To Do's sind lang

Es ist Abend. Und ich bin erleichtert. Weil ich im Haus herumpuzzeln kann, den zweiten Socken suchen von meinem Sohn, den von seinem FC-Barcelona-Trikot. Es müssen unbedingt die sein morgen. Und weil ich diesen Text schreiben kann, der dringend fertig werden muss. Ich hatte mir zwar dafür einen Termin in den Kalender geblockt, aber es waren einfach zu viele E-Mails, die nach Beantwortung verlangten, zu viele Meetings mit Vor- und Nacharbeit. Damit ich schreiben kann, muss immer alles andere vom Tisch sein, sonst ist es mir unmöglich, mich zu konzentrieren. Die Rechnungen müssen überwiesen sein, die piepsende Waschmaschine (wer hat eigentlich so was Schreckliches erfunden?) ausgeräumt, das Essen für die Kids auf den Tisch gestellt, die WhatsApp-Nachrichten beantwortet.

Es ist ja doch ganz schön

An Abenden, an denen ich ausgehe, bricht diese ganze schöne Statik des Erledigungsgebäudes zusammen. Und das stresst mich dann schon den ganzen Tag. Natürlich gehe ich gern aus. Erst gestern, da gab es ein herrliches Dinner im gerade wieder eröffneten „Tantris“. Tolle Menschen gesehen, gute Gespräche gehabt, exzellentes Essen genossen – jeder Happen eine Offenbarung. Es fühlte sich ein bisschen an wie Weihnachten, was sicher auch an dem feuerroten Ambiente des Münchner Sternelokals liegt. Viele Gläser Champagner und Wein später lag ich dann um ein Uhr morgens im Bett. Nach Monaten der Ausgeh-Abstinenz sind solche Abende richtig schön. Ich sehe nur jetzt schon den vorweihnachtlichen Event-Wahnsinn auf mich zurollen und bekomme, ja, Angst.

Freizeit-Stress

Der Kalender füllt sich, und wenn ich einmal zugesagt habe, dann mag ich nicht wieder absagen. Ist ja auch alles so toll: Freunde, Kollegen, Kunden sehen. Manchmal lässt sich bei so viel Verlockung meine eigentliche goldene Regel nicht einhalten, auf keinen Fall zwei Abende hintereinander zu ver­planen. Die Kondition habe ich nicht (mehr). Und diesen Ausgeh-Jetlag schleppe ich dann jeden weiteren Tag mit mir herum. Darum ist das Herrlichste, was passieren kann, wenn ein Dinner, ein Cocktail, eine Netzwerk-Veranstaltung nicht stattfindet – und ich unverhofft „frei“ habe. Als die Lockdowns losgingen im vergangenen Jahr, gab es viele solcher Abende. Ich habe sie genossen – und nichts vermisst. Es ähnelte dem Gefühl, das ich als Schülerin hatte, wenn ich mit einer gar nicht so schlimmen Erkältung zu Hause bleiben durfte, zu schwach war, um irgendetwas zu erledigen, und zu gut drauf, um nur zu schlafen (wobei ich das heute als echten Luxus empfinde). Was ich mache an solchen Absage-Erleichterungs-Abenden? Lesen, endlich mal die besten Freundinnen anrufen. Nichts Spektakuläres bitte. Denn genau das ist ja das Spektakuläre.

Autorin und Chefredakteurin Petra Winter geht jeden Montag mit ihrem Mann zum Dinner. Zeit für echte Gespräche außerhalb des täglichen Wahnsinns. Die einzige Verabredung, bei der sie keine Abend-Absage-­Erleichterung verspürt