Wie man richtig geht

Ein Artikel von Nicola Vidic

Tanzend gehen (Foto: Adriano Russo)

Fußspezialist Steffen Zenta erklärt, was es beim Gehen zu beachten gibt und welche Rolle die Schuhe dabei spielen

Während der letzten Jahre kamen viel häufiger als sonst Menschen mit Überlastungen der Füße zu mir“, berichtet Orthopäde Dr. Steffen Zenta, Leiter des Hand- und Fußzentrums München. In der Pandemie, vor allem während der Kontaktbeschränkungen, seien die Leute plötzlich stundenlang spazieren gegangen. „Ist man das lange Gehen nicht gewohnt und trägt außerdem unpassendes Schuhwerk, kann das im äußersten Fall zu einem Bruch der Mittelfußknochen führen. Das kennt man sonst nur aus dem Leistungssport und von früher aus dem Krieg als ‚Marschfraktur‘.“

Unsere Füße müssen 1000 Tonnen Belastung pro Tag aushalten 

Die Situation hat sich mittlerweile wieder normalisiert, aber davon abgesehen nehmen Probleme mit den Füßen schon seit Längerem zu. Denn so selbstverständlich uns die Fortbewegung zu Fuß auch ist, ist sie doch ein echter Balanceakt. Das wird einem nur meist erst bewusst, wenn sie durch eine Verletzung eingeschränkt ist. Damit es rund läuft, müssen allein in den Füßen 28 Knochen, 33 Gelenke, über 100 Bänder und 20 Muskeln und Sehnen perfekt zusammenspielen. Dabei wirken unglaubliche Kräfte auf die Füße, denn sie geben die ganze Energie, die unsere Muskeln erzeugen, an den Boden ab. Pro Tag müssen sie 1000 Tonnen Belastung aushalten. „Ist die Stellung der Füße gestört, kommt es zu Fehlbelastungen“, sagt Dr. Zenta. „Zusätzlich kompensieren wir diese weiter oben im Körper durch angepasste Bewegungen.“ Das kann zu Beschwerden am Sprunggelenk, an den Knie- und Hüftgelenken bis zu Schmerzen und Verspannungen im Schulterbereich führen.

Um herauszufinden, was im wahrsten Sinne des Wortes schief läuft, können Orthopäd*innen den Gang analysieren. „Hier gibt es mehrere Aspekte zu untersuchen“, erklärt Dr. Zenta. „Bei der Pedobarografie (Fußdruckvermessung) wird der Druck am Fußboden gemessen, der bei der Belastung beim Gehen dort vom Fuß erzeugt wird.“ Das sei sehr viel genauer als die sonst übliche Messung im Stehen und vor einem operativen Eingriff sogar unerlässlich. „Die andere Art der Analyse ist eine Videoaufzeichnung des dynamischen Gehablaufs entweder in einem Raum oder auf einem Laufband. Hier kann man optisch Fehlbelastungen im Zusammenspiel mit den Beinen und dem Becken bis zur Wirbelsäule erkennen und als Grundlage für einen Therapieplan heranziehen.“

Die Psyche beeinflusst unser Gehen 

Denn richtig gehen kann man trainieren. Nur sieht das für jeden Menschen ein bisschen anders aus. „Wir Mediziner haben durchaus die Vorstellung eines anatomisch idealen Gangbildes. Die Realität und verschiedene Studien zeigen aber immer wieder, dass Gehen und Fortbewegung extrem individuell und wie ein Fingerabdruck oder das Aussehen bei jedem Menschen ganz unterschiedlich ist“, so Dr. Zenta. Auch die Psyche habe einen Einfluss darauf, wie wir gehen. Mit dem Alter verringert sich außerdem die Dehnbarkeit der Muskeln und Gelenke, dazu kommen noch Faktoren wie Sturzangst oder abnehmende Reaktionsschnelligkeit. All dem lässt sich allerdings mit Sport entgegenwirken und so das Erscheinungsbild verjüngen. Wer gut trainiert ist, geht aufrecht und geschmeidig und wirkt so auf andere dynamischer.

Wie man das Gehen trainiert 

Kommen Schmerzen und Fußfehlstellungen ins Spiel, helfen spezielle Übungen. „In den vergangenen Jahren hat sich zum Training des gesunden ­Gehens die Spiraldynamik als wirkungsvolle Art der Fußgymnastik herauskristallisiert“, sagt der Ex­perte. Dieses dreidimensionale Bewegungskonzept basiert auf dem spiraligen Aufbau des Körpers. Patient*innen lernen dabei, wie der für sie anatomisch perfekte Gang wäre. Im Wesentlichen wird dazu der Fuß mit der Ferse aufgesetzt, dann über die äußere Kante schraubenförmig nach vorne auf den Ballen abgerollt, bis man sich schließlich mit der großen Zehe vom Boden abstößt. Auch die Füße selbst können mit einfachen Übungen ganz nebenbei trainiert werden. Dazu 20- bis 30-mal im Stehen auf die Zehenspitzen gehen, das trainiert zusätzlich die Wadenmuskulatur mit, oder abwechselnd jeweils für ein paar Minuten auf einem Bein balancieren.

Worauf es beim Schuh ankommt

Natürlich hat auch das Schuhwerk einen entscheidenden Einfluss auf die Fortbewegung. Mit bloßen Füßen über einen elastischen, aber nicht zu unebenen Grund wie eine Wiese oder festen Sand zu gehen, ist ein gutes Training. Geht man allerdings nur noch barfuß, werden die Füße zu einseitig beansprucht. Aus ärztlicher Sicht sind die meisten Turnschuhe empfehlenswert. Sie schützen den Fuß und haben eine dämpfende Sohle, die aber nicht zu weich oder steif sein sollte, um Bewegungen zwischen Vor- und Rückfuß zu ermöglichen. Trotzdem heißt das nicht, dass es ab sofort nur noch Sneakers sein dürfen. Vielmehr kommt es darauf an, immer mal wieder den Schuh zu wechseln und auch bei der Absatzhöhe zu variieren. „Jeder Zentimeter verkleinert die Fläche, die das Körpergewicht tragen muss, und erhöht relativ gesehen damit den Druck“, so Dr. Zenta. Dafür ist beim Gehen mit hohen Absätzen die gesamte Muskulatur angespannt – dadurch bekommt man eine andere Haltung, geht automatisch aufrechter. Die Trageeigenschaften von High Heels lassen sich mit kleinen Gelpolstern, die man innen in die Sohle kleben kann, verbessern. Außerdem spielt das subjektive Tragegefühl eine große Rolle. „Ich sage oft zu meinen Patient*innen, ‚kaufen Sie bitte den Schuh zum Fuß und nicht umgekehrt‘.“

Mehr auf den eigenen Körper hören

Selbst kleinere Veränderungen am Fuß sollte man übrigens als Warnzeichen ernst nehmen, so der Orthopäde. Druckstellen, Hühneraugen oder Schwielen sind meist Vorläufer von Schmerzen und später Fehlstellungen. Deshalb sollte man in solchen Fällen einen Fußspezialisten aufsuchen. Überhaupt sei es sinnvoll, so Dr. Zenta, wieder mehr auf den eigenen Körper zu hören. „Die Leute sind unheimlich verkopft, informieren sich, lesen alles nach und wollen eine schnelle Lösung. Dabei sollten sie viel mehr versuchen zu spüren, was ihr Körper braucht, der sagt einem nämlich ziemlich viel.“ Gehen ist eben mehr als nur eine simple Fortbewegungsmethode – es ist eine Kunstform, die unsere Aufmerksamkeit verdient.

Dr. Steffen Zenta ist Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin und leitet das Hand- und Fußzentrum München. (Foto: MVZ im Helios))
Plateau-Sandale: Durch die sehr feste, dicke Sohle geht ein großer Teil der Bewegungsfreiheit des Fußes verloren. Der meist kräftige Absatz sorgt für mehr Stabilität als bei anderen High Heels.
Flip Flops: Die Strand-Lieblinge unterstützen die Fußform nicht und geben nur wenig Halt, deshalb kann man leicht darin umknicken. Die weiche Sohle bietet aber ein gewisses Maß an Dämpfung.
Fussbett-Sandalen: Schuhe mit integriertem Fußbett sind nach einem Standardfuß angefertigt. Deshalb ist es Glückssache, ob ein Modell wirklich passt. Fühlt es sich beim Tragen gut an, ist aber alles okay.
Pumps: Je höher der Absatz, desto kleiner die Fläche, auf die sich der Druck des Körpergewichts verteilt. Die Belastung auf die Mittelfußköpfchen steigt. Gelpolster im vorderen Bereich wirken dämpfend.
Ballerinas: Die flache, dünne Sohle dämpft nicht – so kann sich ein Senk- oder Spreizfuß bilden. Dafür bieten Ballerinas gute Beweglichkeit, und Abrollen ist problemlos möglich.