Wie lasse ich meinen Kinderwunsch los?

Ein Interview von Sabrina Waffenschmidt

Loslassen (Foto: Lara Ohl)

Viele Frauen warten so lange auf den richtigen Zeitpunkt für ihr Wunschkind, bis es zu spät ist. Andere versuchen alles, um ein Kind zu bekommen – es klappt nur nicht. Was tun, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt?

Will ich noch ein Kind? Werde ich es später bereuen, nicht alles versucht zu haben? Und was, wenn es mit dem Wunschkind einfach nicht klappt? Für Frauen über 40 wird es immer unwahrscheinlicher, ein Kind zu bekommen, doch noch ist die Tür nicht ganz geschlossen. Ein kritischer Zeitpunkt. Ein Interview mit Sally Schulze, Psychologische Psychotherapeutin und zertifizierte Kinderwunschberaterin.

MAISON MADAME: Viele Frauen denken lange, sie hätten noch genug Zeit, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen – und stecken plötzlich in den Wechseljahren.

Sally Schulze: Von der Menopause, also dem Zeitpunkt, an dem die Periode endgültig aussetzt, werden die wenigsten Frauen überrascht. Im Durchschnitt sind sie dann 51 Jahre alt. Dass aber die Wahrscheinlichkeit, ein Baby zu bekommen – auf natürlichem Weg oder mit Hilfe einer medizinischen Behandlung – ab einem Alter von 43 Jahren schon deutlich unter 15 Prozent liegt, wissen nur wenige. Die meisten Menschen unterschätzen also die zehnjährige Spanne zwischen 41 und 51 Jahren, die sogenannte Perimenopause.

Wenn Frauen früher als erwartet in die Wechseljahre kommen – muss die Kinderplanung augenblicklich ad acta gelegt werden oder gibt es weiterhin Chancen?

Das ist sehr individuell, denn die Frauen reagieren sehr unterschiedlich auf die Behandlungsmöglichkeiten. Manchen kann sehr gut geholfen werden, anderen überhaupt nicht. Man sollte aber zunächst nicht schwarzsehen. Wichtig ist, gemeinsam mit einer Ärztin oder einem Arzt zu klären, welche Möglichkeiten es gibt.

… und auch zu wissen, wann der Zeitpunkt ist, damit abzuschließen.

Der Anteil an Paaren, die bis zum Umfallen alles erdenklich Mögliche einer Kinderwunschbehandlung ausschöpfen, ist recht klein. Die Mehrheit der Menschen nimmt eine Behandlung so in Anspruch, dass Kosten, Zeitaufwand und die körperliche wie emotionale Anstrengung in einem für sie sinnvollen Verhältnis stehen. Wenn es dann nicht klappt, lassen sie ihren Wunsch los.

Was passiert in dem Moment des Loslassens?

In diesem Moment bricht für viele eine lang gehegte Vision der Zukunft zusammen. Es verschwindet plötzlich ein Lebensweg, um den Betroffene trauern. Dieser Prozess ist mit der Trauer um einen verstorbenen Menschen vergleichbar. In beiden Fällen muss man Abschied von einer gemeinsamen Zukunft nehmen und sich an die neue Realität anpassen. Das schmerzt.

Wie findet man seinen Frieden damit, dass der Wunsch nach einem Kind nicht erfüllt werden kann?

Ein gesund ablaufender Trauerprozess dauert etwa zwei Jahre. Besonders das erste Jahr ist für viele sehr hart und man durchläuft verschiedene Phasen der Trauer. Im zweiten Jahr sind die meisten schon sehr vertraut mit ihrer Trauer und können besser damit umgehen. Komplizierter kann es werden, wenn im Prozess die Beziehung zum Partner oder zur Partnerin zerbricht, der oder die Partner:in in einer neuen Beziehung ein Kind bekommt oder etwa auch dann, wenn es in der Vergangenheit einen Schwangerschaftsabbruch gab. Doch nur sehr wenige Menschen bleiben für immer in ihrer Trauer feststecken.

Viele Frauen hatten keinen eindeutigen Kinderwunsch, bereuen aber dennoch eine möglicherweise verpasste Chance.

Das klingt jetzt vielleicht ein wenig hart, aber Bereuen halte ich für Quatsch. Bereuen ist letztlich ein Vorwurf an unser jüngeres Ich. Das ist unfair uns selbst gegenüber und bringt uns nicht weiter. Denn erinnert man sich zurück, hat man in der Vergangenheit ja oft nach bestem Wissen und mit den Fertigkeiten entschieden, die einem damals zur Verfügung standen. Aber es gibt ein angemessenes Bedauern – und dem darf und soll man auch Raum geben. Sich zu fragen, „was wäre, wenn…“ ist völlig normal. Bei manchen Kinderfreien löst die Endgültigkeit der Wechseljahre auch eine Angst vor Einsamkeit im Alter aus.

Dabei sind Kinder keine Garantie gegen Alleinsein im Alter.

Genau, und das gilt gerade dann, wenn man als Eltern einen guten Job macht und sie zu selbstbestimmten Menschen erzieht. Gute Beziehungen sind eine Garantie gegen Alleinsein. Und die hängen nicht davon ab, ob ich ein Kind gebäre, ein Kind adoptiere.

Was passiert, wenn der Wunsch abgeschlossen ist?

Mit dem Loslassen des Kinderwunsches können viele Frauen ihre Sexualität wieder anders erleben. Es entsteht ein unendliches Meer an Möglichkeiten, wenn der Spaß und nicht die Fortpflanzung im Vordergrund steht. Andere haben wiederum weniger Lust und sind froh, dass sie sich nicht mehr mit Sex beschäftigen müssen. Das ist genauso richtig. So oder so: Embrace the phase – und lernt euch neu kennen!

Dipl.-Psych. Sally Schulze von MentalStark unterstützt Menschen mit Kinderwunsch