Wie bedenklich ist der "Brain fog"?

Ein Interview von Eva Meschede

Alles vernebelt? (Foto: Stefan Milev)

In den Wechseljahren scheint unser Gehirn manchmal wie vernebelt. Ein Grund, sich Sorgen zu machen?

Wer kennt dieses Verwirrungs-Phänomen nicht: Man geht vom Homeoffice in die Küche. Dort angekommen, weiß man nicht mehr, was man eigentlich wollte. Oder bestimmte Wörter fallen einem einfach nicht ein, wenn man sie braucht: Wie hieß noch dieses fermentierte Gemüse aus Korea, irgendwas mit Ki? Ach ja, Kimchi! Brain fog wird seit einiger Zeit als Symptom der Wechseljahre diskutiert.

Viele Frauen machen sich Sorgen, dass dieser Nebel das erste Anzeichen für die Vergesslichkeit eines alternden Gehirns oder sogar einer Demenz sein könnte. Professor Petra Stute, stellvertretende Chefärztin und leitende Ärztin am Universitätsspital Bern, hat zum Thema geforscht. Wir haben sie gefragt, was es mit der Verwirrtheit auf sich hat und ob sie womöglich bleibt oder schlimmer wird.

MAISON MADAME: Was genau versteht man unter Brain fog in den Wechseljahren?

Petra Stute: Der Begriff kommt eigentlich aus der Corona-Zeit und bezeichnet die Beeinträchtigung des Gedächtnisses durch diese Erkrankung. Mittlerweile hat sich Brain fog in die Liste der Symptome in den Wechseljahren eingereiht. Aber die kognitiven Auffälligkeiten in den Wechseljahren und die nach Corona oder bei Long Covid unterscheiden sich. Im Zusammenhang mit Corona wird der Gehirnnebel noch erforscht, in den Wechseljahren ist der sinkende Östrogenspiegel ein wesentlicher Grund. Das Östrogen beeinflusst die Neurotransmitter, also die Botenstoffe, die auf die Nervenzellen des Gehirns wirken, das verändert die Gedächtnisleistung.

Werden wir mit sinkendem Östrogen also etwa immer verwirrter und dümmer?

Nein, natürlich nicht. Es ist nicht so, dass wir alle durch den sinkenden Östrogenspiegel unweigerlich einer Art Demenz entgegentreiben. Wenn Frauen ­wegen des Brain fogs einen Kognitionstest machen, kommt bei den allermeisten heraus, dass sie nicht krank, sondern ganz normal sind. Was dabei interessant ist: Frauen sind vor den Wechseljahren vor allem bei der verbalen Gedächtnisleistung durchschnittlich besser als Männer. In den Wechseljahren verschlechtert sich das dann ein bisschen. Subjektiv kann das ­natürlich als dramatisch empfunden werden.

Was passiert in den Wechseljahren im Gehirn, sodass Brain Fog entsteht?

Das sogenannte verbale Gedächtnis und das verbale Lernen sind verändert. Das sind die Bereiche, in ­denen Frauen normalerweise sehr gut sind. Plötzlich ist das Abrufen von Wörtern, Namen, Geschichten schwerer. Es fällt einem Manches einfach nicht ein. Typisch ist auch die Situation, dass man in einen Raum geht und nicht mehr weiß, was man da jetzt ­eigentlich wollte. Ich höre in meiner Praxis immer ­wieder, dass viele Frauen Angst haben, dass bei ihnen eine Demenz beginnt.

Diese Angst können Sie ihnen nehmen?

Sehr selten beginnt eine Demenz vor dem 60. Lebensjahr, meist erst nach dem 70. Und schlussendlich ist das, was sich an Symptomen als Brain fog in den Wechseljahren manifestiert, auch überhaupt nicht vergleichbar mit einer Demenz­erkrankung. Tatsächlich funktioniert in den Wechseljahren alles andere im Gehirn weiterhin gut. Wir verlieren nicht die Fähigkeit, strategisch zu planen und zu handeln, auch nicht unser räumliches Gedächtnis. Und wir denken auch nicht langsamer. Es sind nur kleine Veränderungen, die sehr stören können.

Also kein Grund zur Sorge?

Als Ärztin sollte man trotzdem fragen, ob es in der Familie der Patientin irgendwelche Demenzerkrankungen gibt. Wenn ein Angehöriger sehr jung erkrankt ist, dann ist es eventuell nicht schlecht, einen Neurologen oder Psychiater aus einer Memory-Klinik hinzuzuziehen. Aber in der Regel ist das nicht nötig, Frauen sollten sich keine zu großen Sorgen machen.

Kann es noch andere Gründe für diese leichte Verwirrtheit in den mittleren Jahren geben?

Tatsächlich haben Frauen in dem Alter viel zu stemmen. Die Karriere ist auf dem Höhepunkt, die Kinder sind oft noch nicht aus dem Haus, die Eltern werden alt und brauchen mehr Zuwendung. Wenn eine Frau wegen Brain fogs in meine Praxis kommt, sehe ich mir das ganze Drumherum an und vergesse die Differenzialdiagnosen nicht. Das bedeutet, ich schließe etwa eine Depression oder andere Erkrankungen aus, denn durch die hormonelle Veränderung kann auch eine Depression begünstigt werden oder massive Schlafstörungen. Und bei beiden Erkrankungen gibt es ebenfalls kognitive Auffälligkeiten. Deswegen sollten Ärzt*innen die Symptome hilfesuchender Frauen nicht von vornherein einfach als normale Wechseljahresbeschwerden abtun, sondern genauer untersuchen. Zudem sagt es sich leicht, das sei alles im normalen Bereich. Für die betroffene Frau kann der Gehirnnebel ein Problem sein, etwa wenn sie beruflich gefordert ist und ihr bei einer Präsentation Wörter oder Namen nicht einfallen. Dann wünschen sich Frauen nur eines: wie früher zu funktionieren.

„Die gute Nachricht: Brain fog ist ein Symptom, das mit den Wechseljahren vorbeigeht.“

Professor Petra Stute

Könnte eine Hormontherapie helfen?

Wahrscheinlich ja, aber eigentlich sagen die ärzt­lichen Leitlinien explizit, dass eine Hormontherapie nur wegen kognitiver Symptome nicht empfohlen werden soll. Wenn aber eine Frau klagt, dass sie auch noch alle möglichen anderen Beschwerden hat, etwa schwere Hitzewallungen, Schlafstörungen, und ihre Stimmung schlecht ist, dann kann man über eine Hormontherapie nachdenken.

Scheinbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Hormonersatztherapie und Demenz – kann man diese damit vermeiden?

Immer mehr Studien sagen, dass es wahrscheinlich ein gewisses Zeitfenster gibt, in dem die Benefits der Hormonersatztherapie am höchsten sind. Wenn eine Frau unter 60 Jahren mit der Einnahme von Hor­monen beginnt, dann sei, so die aktuelle Forschung, das Risiko, später eine Demenz zu erleiden, ähnlich wie bei den Herzerkrankungen etwas geringer. Wenn nach dem 65. Lebensjahr mit der Therapie gestartet wird, scheint das Risiko, an Demenz zu erkranken, ­etwas höher zu sein.

Was würden Sie Frauen gegen den Brain fog raten?

Ausreichend Schlaf und Entspannungsübungen können helfen. Eventuell liegt auch ein Vitamin-B12- oder Eisenmangel vor, das kann man beim Arzt checken lassen. Ganz wichtig ist, sich nicht zurückzuziehen, sondern sozial aktiv zu sein.

Bleibt dieser Gehirnnebel denn für den Rest des Lebens?

Das ist die gute Nachricht: Brain fog ist ein Symptom, das vorbeigeht. Es ist wichtig zu wissen, dass der Nebel während der Wechseljahre auftritt, irgendwann zwischen 40 und 60 Jahren, und dass er bei den ­meisten Frauen wieder verschwindet, wenn sie die ­Menopause überschritten haben. Das Ganze dauert circa vier Jahre, und das Gehirn gewöhnt sich im Laufe der Zeit an den veränderten Hormonspiegel. Es ist eine Phase und hat nichts mit Demenz zu tun.

Professor Petra Stute ist stellvertretende Chefärztin und leitende Ärztin in der Gynäkologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Bern. Sie forscht zu den Wechseljahren und hat aktuell zum Thema Brain fog veröffentlicht.