Was wir in den Wechseljahren essen sollten

Ein Artikel von Bettina Wündrich

Gesunde Mitte & ein Lächeln (Foto: Adriano Russo)

In Gesprächen mit verschiedenen Expert*innen geht unsere Autorin auf die Suche nach der optimalen Ernährung in den Wechseljahren

Ich liebe Essen. Eine gute Weile hat mich mein Körper auch ohne groß aufzumucken und in (halbwegs) akzeptabler Form durch die Menopause getragen – was daran liegen kann, dass meine glückliche Seele, ­während ich so auf der Couch lümmelte und ­Vanilla Nut Brittle löffelte, meinen Körper mit süßen Worten einlullte. Vielleicht habe ich mich auch im Spiegel immer nur von vorn und nie von der Seite betrachtet. Früher oder später jedenfalls ereilt es jede, also auch mich: Meine Körpermitte zwickt, bläht sich, wirft Wellen. Das, was man „Menobelly“ nennt, ist unübersehbar. Außerdem fühle ich mich unangenehm defokussiert. Man könnte auch sagen: Ich habe meine Mitte verloren. Und die will ich unbedingt wiederfinden.

Auf meinem Weg zu einem ganzheitlicheren, vielleicht auch wieder schlankeren Ich werde ich mit Expert*innen sprechen, Ernährungsbücher lesen, Studien scannen. Ich werde danach um einige Erkennt-nisse reicher sein, von denen ich wünschte, ich hätte sie früher gehabt – man kann nämlich schon vorher viel tun. Zum Beispiel auf guten Schlaf achten: Dauerhaft weniger als sechs Stunden Schlaf erhöht das Risiko für Übergewicht um bis zu 70 Prozent. Auch meinem Gehirn, das mir viel zu häufig signalisiert, mein Körper bräuchte auf der Stelle Süßes oder Salziges, lerne ich zu misstrauen: Unsere Psyche ist auf Wohlbefinden durch Sattessen programmiert. Aber Gelüste sind heute kein Hinweis auf Mangel mehr. Klingt banal, schult jedoch die Achtsamkeit.

Taille-Hüft-Index statt BMI 

Aber der Reihe nach. Die Fakten: Schon ab 20 verliert unser Körper jedes Jahr etwa ein halbes Pfund Muskulatur – und mit jedem Gramm Muskulatur weniger lagert sich Fett ein. Mit 50 haben wir also 15 Pfund Muskulatur abgebaut. Unser Körper benötigt deshalb weniger Energie – auch, weil wir dann wenige oder keine Eier mehr produzieren. Durch die Hormonumstellung wird der Stoffwechsel langsamer, die Lust auf Geschmacksextreme, ob Süßes oder Salziges, wächst. Durch den Rückgang des Östrogens und vermehrtes Testosteron lagert sich das Fett nicht mehr an Gesäß und Oberschenkeln ab, sondern am unteren Bauch. Und hier wird es spannend: Wenn es darum geht, gesundheitliche Risiken einzu­schätzen, kann man sich nicht mehr auf seinen BMI (Body-Mass-Index) verlassen, der in der Medizin ­ohnehin als veraltet gilt. Relevanter ist der Taille-Hüft-Index (THI oder WHR, Taillen- geteilt durch Hüftumfang). Bei Frauen sollte er nicht über 0,8 liegen und der Bauchumfang nicht mehr als 80 Zentimeter betragen.

Tja: Bei mir liegt der Bauchumfang vier bis sechs Zentimeter (je nach Tageszeit) drüber. Alarm! Denn je mehr Bauchfett (sogenanntes „weißes“ oder „viszerales“ Fett), desto wahrscheinlicher ein Überschuss an sogenannten Adipokinen, was negative Auswirkungen hat auf Hungergefühl, Kalorienverbrauch, Fettspeicherung und Stoffwechselaktivität. Diese Fettgewebshormone entscheiden auch darüber, wie der Organismus Zucker verarbeitet und über die ­Produktion von Entzündungsbotenstoffen – sie können also Alterserscheinungen fördern.

Für intermittierendes Fasten und gegen Alkohol

Bildschirmbesuch bei Dr. Harry König im „Brenners Medical Care“ in Baden-Baden, einem der führenden Spezialisten, wenn es darum geht, seinen Körper wieder auf Vordermann zu bringen. Er sitzt in seinem in Cleanweiß gehaltenen Behandlungszimmer, im Hintergrund ist eine Liege zu sehen, gerade musste er noch einen akuten Fall zwischenschieben.

Mit Gewichtsproblemen in der Menopause habe er jeden Tag zu tun, von Hormonumstellungen betroffen seien übrigens auch Männer. König therapiert unter anderem mit bioidentischen Hormonen, „immer blutlaborkontrolliert und individualisiert“. Hier gibt man dem Körper nur das, was er produzieren würde, wenn er noch könnte. Der dankt es mit einer Mobilisierung der Energie, der Motivation der Muskulatur und des Stoffwechsels. König sagt: Auch wenn man mit 50 nicht zur Couch-Potatoe mutiert, sondern „sich genauso gesund ernährt und bewegt wie mit 30, nimmt man trotzdem häufig zu.“ Er selbst ist ein leidenschaftlicher Befürworter des Intermittierenden Fastens – heute hat er sogar noch gar nichts gegessen, denn einmal die Woche legt er einen Fastentag ein. Es ist 16 Uhr, er wirkt drahtig, wach, gut gelaunt. Nachher ist er allerdings eingeladen, dann werde er essen – und vielleicht Wein trinken. Aber: „Alkohol konkurriert immer mit dem Fettstoffwechsel – wenn Sie welchen trinken, findet keiner statt.“

Intermittierendes Fasten beschränkt die Nahrungsaufnahme auf wenige (zum Beispiel acht) Stunden, sodass der Darm eine längere Phase Zeit hat zu verdauen (16 Stunden). Normalerweise isst König ab 13 Uhr die erste Mahlzeit, dann wieder am Abend, nichts zwischendurch, nur Wasser oder Kräutertee. Am Wochenende lockert er die Regeln. Warum das gesund ist? Nach ungefähr zwölf Stunden Nahrungsverzicht stellt der Körper auf Fettverbrennung um. Entzündungs­prozesse werden gehemmt, die Blutwerte verbessern sich, es soll sogar lebensverlängernd wirken. Gerade hat er sich seine „GLAD“-Diät patentieren lassen: eine Kombination aus intermittierendem Fasten und ballaststoffreicher Kost vor den Mahlzeiten (drkoenig.com). Mein persönliches Fazit: Die Lage ist nicht aussichtslos. Und: Egal ob man fastet oder nicht, keine Zwischenmahlzeiten, maximal drei Hauptmahlzeiten.

Unser Körper hat sein eigenes „Drogenköfferchen“

Videocall Hamburg–Chiemgau. Die Ökotrophologin Marion Grillparzer sitzt braun gebrannt auf den Stufen eines Bauernhauses, aus dem Off kräht ein Hahn. Mit ihr will ich über mein großes Dilemma sprechen: Essen und Emotion. Warum sind meine Tage garniert mit Snacks? Sie markieren meine Konzentrationslöcher, meinen Entspannungsmodus, meine Sehnsüchte nach Zuwendung (auch zu mir selbst) und Gemütlichkeit. Versteht sie: Dieses Essverhalten lernen wir schon als Kinder. Aaaaber: So halte ich meinen Blutzuckerspiegel permanent in ­Bewegung, kurbele immer wieder die Ausschüttung des Hormons Insulin an – „so lange Insulin im Blut ist, schwimmt darin kein Glucagon, das Fett abbaut“. Grillparzer hat 18 Ernährungsbücher geschrieben und die „Glyx-Diät“ geprägt (der glykämische Index ist ein Maß dafür, wie stark der Blutzucker nach Verzehr eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels ansteigt). Ihr Konzept „Essen & Trinken mit niedrig-glykämischen Lebensmitteln“ ist ganzheitlich und fußt auch auf der biochemischen Tatsache, dass unser Körper sein eigenes „Drogenköfferchen“ hat, das uns gesund, glücklich und motiviert machen kann. Wie? Knapp gesagt: bewegen, achtsam sein, entspannen, entgiften. „Wenn du selbst erfährst, wie gut Essen und Trinken tun können, dann nimmt dieses Gefühl so viel Raum ein, dass schlechte Gewohnheiten an Wichtigkeit verlieren.“

Nicht nur Verzicht, Mühe gehört ebenfalls dazu. König und Grillparzer warnen vor allem, was die Industrie in den Händen gehabt hat (dazu gehört übrigens auch industrielles Vegan Food): Was auf dem Teller liegt, sollte man in seinen Bestandteilen identifizieren können! Wer sein Gewicht halten will (nicht mehr als drei Prozent derjenigen, die per Diät abnehmen, gelingt das ein Jahr oder länger), man ahnt es, muss selber schmieren, schneiden, rühren und am besten auch rupfen, aus dem eigenen Beet.

Und wie nehme ich nun ab? 

König rät zu einer „entspannten veganen Woche ohne Gluten und Laktose“ – „Gehen Sie beim Kochen mit Fantasie und Liebe ran!“. Grillparzer empfiehlt zwei Gemüsesuppen-Tage zum Re-Setten, mit Suppen aus naturbelassenen Zutaten. Und wenn der Heißhunger kommt? Alles, was kein Insulin lockt: Beeren, auch mal ein Ei, unbehandelte Nüsse, „eine Handvoll aus der Küche, keine Schüssel neben die Couch stellen!“, mahnt König.

„Es macht keinen Sinn, sich den Körper von vor 15 Jahren zurückzuwünschen.“ Das könnte jetzt meine finale Erkenntnis sein. Der Satz stammt aber von der in Berlin lebenden Journalistin und Menopausen-Aktivistin Miriam Stein, die es in ihrem Buch „Die gereizte Frau“ nicht bei der biologischen Tatsache belassen, sondern die gesellschaftliche Dimension dahinter aufgezeigt hat. Stein ist sehr aktiv auf Instagram, in Private Messages schütten ihr dort unzählige Frauen ihr Herz aus. Es sei „regelrecht heartbreaking“, wie unglücklich sie über ihre Menopausen-Pfunde sind und wie selbstzerfleischend: „Anorexie, Orthorexie, ­Bulimie – all die Essstörungen, die Frauen in und nach der Pubertät entwickeln, alles wieder da.“ Nur, dass sie im Alter zum Beispiel irreversible Osteoporose fördern können. Wir sprechen über das Betrachten von Fotos, die uns als junge Frau zeigen und die Erinnerung, wie missraten wir uns damals fühlten – dabei sahen wir toll aus! „Die Erkenntnis, wie falsch ich meinen Körper früher eingeschätzt habe, hilft mir jetzt“, so Stein. In der zweiten Lebenshälfte müssen wir eben nicht mehr die Frau suchen, die wir sein möchten, sondern können endlich eine selbstbestimmte, gesunde Frau werden – die, die wir wirklich sind.

Ist das nicht eine schöne Guideline für den Lebensabschnitt, der noch vor uns liegt? Mindestens so wohltuend wie eine Tafel Schokolade.

„Es macht keinen Sinn, sich den Körper von vor 15 Jahren zurückzuwünschen.“

Miriam Stein