Was tun gegen den Blues?

Ein Interview von Eva Meschede

Blue, Blue, Blues... ein Strauß voller Hormone! (Foto: Lara Ohl)

Die Ursache depressiver Verstimmungen sind häufig schwankende Hormone. Unser Experte und Gynäko­loge Dr. Harry Tschebiner, erklärt, was genau dahintersteckt – und was hilft

Oft denken Frauen selbst nicht an die Wech­seljahre, wenn sie auf einmal Beschwerden wie Konzentrationsstörungen oder depres­sive Verstimmungen spüren. Dass die Zeit der Umstellung lange vor dem 50. Lebensjahr beginnt, ist vielen Betroffenen, aber auch Hausärzt*innen nicht bekannt. Ein häufiges Symptom der Hormonveränderungen: Frauen fühlen sich plötzlich zu Tode betrübt, gereizt oder gestresst.


MAISON MADAME: Psychische Probleme kommen in den Wechseljahren ziemlich häufig vor. Sogar sieben von zehn Frauen sollen betroffen sein, sind das tatsächlich so viele?
Dr. Harry Tschebiner: Ja, das entspricht meiner Erfah­rung aus der Sprechstunde, in der häufig über Stimmungsschwankungen geklagt wird, ohne dass es einen konkreten Grund gibt: „Mir geht es doch gut, aber ...“ Fast immer ist in den Wechseljahren die Stimmung mit betroffen. Das beginnt häufig schon in der Prä­menopause, also weit vor dem 50. Lebensjahr mit ähn­lichen Symptomen, wie manche Frauen es vor ihren Tagen (PMS) kennen. Sie sind plötzlich näher am Wasser gebaut oder einfach grundlos traurig. Häufig steigen innere Konflikte hoch, die sie sonst gern von sich weggeschoben haben – in der Beziehung, im Job oder mit der Familie. Dies kann auch als Chance be­griffen werden, um schwierige Dinge endlich anzu­gehen. Dazu muss man aber die Gefühle aushalten können. Manchmal gelingt das besser mit professio­neller Unterstützung in einer Psychotherapie.

Ist den Frauen die Ursache bewusst?
Das ist das Problem, mit Anfang 40 kommen die meisten Frauen gar nicht auf die Idee, dass die schlech­te Stimmung mit den Hormonen zu tun haben könn­te, zumal sie noch einen regelmäßigen Zyklus haben. In der Perimenopause sitzt die Frau mit ihren Hor­monen wie in einer Achterbahn, zyklusabhängig geht es mal besser oder schlechter. Der Hausarzt ist oft der erste Ansprechpartner, nicht der Gynäkologe. Aber Hausärzte wissen oft nicht, dass diese Verstimmung Anfang 40 schon durch eine hormonelle Disbalance bedingt sein könnte, sie verordnen dann Psychophar­maka. Diese helfen vielen Frauen, packen das Übel aber nicht bei dessen Ursache, sondern behandeln le­diglich die Symptome. Verschiedene Beschwerden im Zuge der Wechseljahre werden häufig missinterpre­tiert und die Patientinnen so einer unnötigen und nicht immer nebenwirkungsfreien Behandlung ausge­setzt. Dies gilt für Herzrhythmusstörungen genauso wie für Gelenk­ und Muskelschmerzen, Schlaf­störungen und Blasenbeschwerden. All diese Sympto­me können hormonell bedingt sein und bereits in der Perimenopause auftreten. Hier sind viel Erfahrung und eine sorgfältige Diagnosestellung vonnöten.

Dr. Harry Tschebiner hat sich als Gynäkologe auf die Wechseljahre spezialisiert und in München das Menopause-Zentrum gegründet. (Foto: PR)

Warum kommt es zu den Stimmungsschwankungen schon in der Perimenopause?
Durch ein Ungleichgewicht zwischen Östrogen und Progesteron. Die beiden Hormone steuern den Zyklus mit Eisprung und Menstruation. Östrogen ist das Hor­mon der Weiblichkeit, Progesteron sorgt für Ausgegli­chenheit und Harmonie. Ab Anfang 40 kommt es we­gen abnehmender Follikelqualität seltener zu einem Eisprung, weshalb in Folge auch Progesteron nicht mehr ausreichend zur Verfügung steht. Die Hormonbalance ist gestört und damit auch die Gefühlsbalance, es zeigen sich häufiger Stimmungsschwankungen, innere Unru­he, Reizbarkeit, aber auch depressive Zustände. Außer­ dem kann der Progesteronmangel zu kürzeren oder län­geren Zyklen mit starken Regelblutungen führen.

Was kann man denn gegen das traurig machende Ungleichgewicht tun?
Ein Behandlungsversuch mit Mönchspfeffer lohnt sich, denn das Eisenkrautgewächs regt im Körper die Bildung von Progesteron an und unterstützt so das hormonelle Gleichgewicht. Führt dies nicht zu einer Besserung der Beschwerden, so kommt bioidentisches Progesteron, das aus der Yamswurzel hergestellt wird, zur Anwendung. Es kann über ein Kassenrezept ver­ordnet und in der Apotheke bezogen werden. Proges­teron, richtig angewandt, ist auch bei Schlafstörun­gen wirksam und stabilisiert den Zyklus.

Antidepressiva wären nicht angezeigt?
Gerade bei Patientinnen, die früher schon zu De­pressionen neigten oder familiär vorbelastet sind, kann es durchaus sinnvoll sein, Antidepressiva zu verordnen. Wichtig ist, offen darüber zu sprechen und sich ge­meinsam mit dem Arzt zu überlegen, ob eine Psycho­therapie eine zusätzliche Option wäre. Entscheidend ist, zwischen einer depressiven Verstimmung in der Pe­rimenopause, einer reaktiven Depression durch einen Schicksalsschlag und einer endogenen Depression, die genetisch angelegt ist, zu unterscheiden. Denn die je­weils passenden Therapien sind sehr unterschiedlich.

Kann eine depressive Verstimmung in eine echte Depression übergehen?
Verstimmung heißt, dass es ein vorübergehender Zu­stand ist. Wenn die Traurigkeit länger anhält als circa ein Jahr, dann nennt man es Depression. Aber bei einer Frau, die Anfang 40 ist und sagt: „Ich habe immer wie­ der den Blues, das kenne ich eigentlich nicht von mir, es gibt auch gar keinen Grund“, sollte man unbedingt daran denken, dass das mit einer Hormonumstellung zusammenhängen könnte.

„Es lohnt sich, eine Behandlung mit Mönchspfeffer zu versuchen.“

Dr. Harry Tschebiner