The License to Diva

Ein Essay von Bettina Billerbeck

Mit erhobenem Haupt (Foto: Zeb Daemen)

Warum man in unserem Alter guten Gewissens „ein bisschen Diva“ sein darf (so lange man dabei ein netter Mensch bleibt)

Wann ist „Diva“ eigentlich eine Beleidigung geworden? Man hat bei dem Wort gleich Jennifer Lopez vor Augen, die bei jedem Auftritt angeblich auf eine komplett in weiß eingerichtete Garderobe bestand, Polstermöbel und ecuadorianische Rosen inklusive. Ich sehe da eine Opernsängerin mit bebender Büste vor mir, die sich völlig aufgebracht (von was auch immer) an ihr Collier fasst. Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada“, wie sie ihren Mantel auf den Schreibtisch der Assistentin wirft. Als Diva gilt eine theatralische, Sonderwunsch-behaftete und einigermaßen furchteinflößende Frau mittleren Alters. Alles in allem kein erstrebenswertes Image – im Unterschied zu „unkompliziert“, einem zutiefst deutschen Kompliment.

Die Kunst, sich nicht für alles zuständig zu fühlen

Dabei waren die Diven der Kulturgeschichte vor allem eines: selbstbestimmt. Bis vor ein paar Jahrzehnten galten weibliche Entscheidungsfreiheit, ausreichend eigenes Geld und eine „Bis hierhin und nicht weiter“-Haltung ja noch als ungewöhnlich. Die weiblichen Stars von Motown und Hollywood haben es geschafft, sich aus Zwängen und Abhängigkeiten, manche sogar aus Gewalt zu befreien. Natürlich hat unsere Generation ohnehin schon mehr Freiheiten als die Diven der 70er. Aber auch in unseren Poesiealben aus der Grundschulzeit (ich hatte eines mit Holly-Hobbie-Motiv und Schloss) stand noch dieses dämliche Gedicht „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“

Und selbst wenn die meisten von uns Bescheidenheit und Sittsamkeit als Teenager verworfen haben, ist es doch irgendwie unser Zweitjob geblieben, auf keinen Fall als schwierig zu gelten und andere Menschen bei Laune zu halten. Warum glauben wir immer noch, Cheerleader von Firma und Familie sein zu müssen (selbst wenn einem wirklich nicht nach Pompoms ist) oder schlimmstenfalls „das Nettie vom Dienst“? Ein bisschen mehr Diva zu sein, sich nicht für alles zuständig zu fühlen und es allen recht machen zu wollen, tut irre gut. Gerade jetzt, beim Comeback in die Realität nach einem hoffentlich schönen Sommerurlaub.

Die Wechseljahre sind das Seepferdchen-Abzeichen der Selbstbestimmung

Attitüde funktioniert natürlich nicht mit nassen Haaren im Videocall, im Hoodie gelingt keine aufrechte Haltung. Eine Diva braucht ihre Rüstung, in die sie einsteigen und die sie abends wieder ablegen kann. Das erfordert keine Schulterpolster mehr wie in den 80ern, es reichen schon eine Statement-Bluse oder ein prägnantes Schmuckstück, manchen Frauen hilft roter Lippenstift, um die angestrebte Rolle einzunehmen. Alles, was gefühlte Durchsichtigkeit verhindert, innerlich und äußerlich stärkt – und einen Satz wie „nein, das sehe ich nicht so“ erleichtert.

Die gute Nachricht für alle in der Lebensmitte: Die Wechseljahre sind das Seepferdchen-Abzeichen der Selbstbestimmung, wir erhalten in dieser Phase offiziell die Diva-Lizenz. Ein „Nein“ wird zum ganzen Satz, das „Nettie vom Dienst“ geht in Rente. Aufmerksamkeit und Liebe werden nicht mehr mit der Gießkanne verteilt sondern gezielt an Aufgaben und Personen, die beides verdient haben. Man muss auch nicht lächeln, wenn der Taxifahrer darum bittet (ist mir schon mal passiert auf dem Weg zu einer Trauerfeier). Wir werden weder garstig noch spinatwachtelig, sondern noch erwachsener, wir kuratieren unser Leben strenger. Es ist durchaus möglich, dabei ein guter Mensch zu sein – so lange man sich dessen bewusst bleibt, das jeder Mensch, mit dem zu tun hat, seinen eigenen „shit going on“ hat – ob die Vorgesetzte oder der Mann aus der Autowaschanlage.

Und wenn jede von uns doch eine Carte blanche hätte für einen einzigen divenhaften Sonderwunsch, würde mir ein tägliches Porzellanschälchen (von Hermès!) voller rosa-weißer Pfefferminz-Schoko-Linsen genügen.

„Ein bisschen mehr Diva zu sein, sich nicht für alles zuständig zu fühlen und es allen recht machen zu wollen, tut irre gut.“