Statement graues Haar

Ein Artikel von Julia Werner

Noch nicht im Golden Age (Foto: Adriano Russo)

Silberne Strähnen sind en vogue. Unsere Autorin überlegt, ob sie das mit ihrem Selbstbild in Einklang bringen kann. Plus: Pflege-Tipps, damit das Grau schön glänzt

Es ist der Lauf der Dinge, irgendwann – bei manchen schon in ihren Zwanzigern, meist im Alter zwischen 30 und 40 Jahren – zeigen sich die ersten grauen Strähnen. Genau genommen sind sie farblos, denn die Melanozyten, die Farbstoff produzierenden Zellen in den Haarwurzeln, bilden dann kein Pigment mehr. In der Kombination mit den noch „farbigen“ Haaren erscheinen die verblassten dann grau. Erst sind es nur einzelne weiße Haare, irgendwann befindet sich kaum noch ein (natürlich) pigmentiertes Exemplar auf dem Kopf. Wann genau es so weit ist, ist hauptsächlich genetisch bedingt und sehr individuell.

Mehr Pflege als früher

Das kann man stolz zur Schau stellen oder färben, und so den Zeitpunkt des öffentlichen (Er-)Grauens so lange man möchte hinauszögern. Was aber für alle gleichermaßen gilt: „Graues Haar hat eine andere Struktur, ist dick und schon fast borstig. Das ändert sich auch durchs Färben nicht“, erklärt Thommy Momsen, Colorist und John Frieda Ambassador. Deshalb benötigen die Haare jetzt eine andere Pflege als früher. Je höher der Grauanteil im gesamten Haar, desto spröder und krauser wird es, und umso intensiver und feuchtigkeitsspendender sollte die Pflege sein. Außerdem kann sich graues – ähnlich wie blondes – Haar gelblich verfärben. Mit Silbershampoo bekommt es wieder einen kühlen Glanz. Auch der Schnitt ist ganz entscheidend. Das bedeutet nicht, seinen Typ total zu verändern, aber Topstylist Dimotios Dimitrakoudis, Goldwell Ambassador, sagt: „Stufen wirken oft kontraproduktiv und bringen mehr Unruhe in die Mähne. Ideal sind lange und schmeichelnde Stufen, und zum Pony rate ich nur bei einer glatten Haarstruktur.“

Wer sich irgendwann doch für die neue Natur­farbe entscheidet, braucht etwas Geduld. Erst muss der Ansatz einige Zentimeter herauswachsen, „dann werden Step by Step in mehreren Sessions Blondierungs-Strähnen an und um die Stellen gesetzt, an denen das Haar bereits ergraut ist, wie den Schläfen oder der Kontur. Der ganze Prozess kann bis zu einem Jahr dauern“, erklärt Thommy Momsen.

Es geht mehr um die Struktur

Es gibt nichts Lässigeres, als entspannt grau zu werden. Also zumindest, wenn man auf den roten Teppich schaut. Dort kann man den schönsten Frauen der Welt beim Zelebrieren ihres Älterwerdens zusehen. Zugegeben, diese Frauen sind in der Minderheit, aber ihr Wow-Aufschlag ist deswegen umso größer und wird regelmäßig mit feministischem Applaus bedacht. Andy McDowell zum Beispiel. Wenn man ihre in allen Grautönen strahlenden, fluffigen Locken sieht, speichert das Gehirn ab: Graue Haare sind wunderschön, es geht bei Haaren mittleren Alters gar nicht um die Farbe, sondern um die Struktur! Es speichert auch zum hundertsten Mal ab, dass die Weigerung, sich dem patriarchalen Narrativ unterzuordnen, dass Frauen nur dann Attraktivität zuschreibt, wenn sie jung sind oder jung aussehen. So viel besser als der würdelose Kampf gegen den Verfall (der auch in Sachen Gesicht ja zu teilweise skurrilen Ballon-Looks geführt hat). So viel zur Theorie.

„Die ersten weißen Haare sind ein Wendepunkt, weil es in Sachen graues Haar keine Kompromisse gibt.“

Julia Werner

Die Weiße-Haare-Armee

In der Praxis rutscht das Herz eine Etage tiefer, wenn die ersten grauen Haare auf dem eigenen Kopf sprießen. Ein paar Jahre funktionierte bei mir das Verdrängungstool Pinzette. Aber irgendwann war es so weit. An einer Stelle überwog jetzt pigmentfreies Haar und mischte sich mit meinem Virgin Hair, wie Friseure ungefärbte Haare nennen. Mausgrau. Der erste Schandfleck eines unausweichlichen Schicksals, des Altwerdens, der Tod des unschuldigen Mädchens. Ein Wendepunkt, weil es in Sachen graues Haar keine Kompromisse gibt. Man kann sich fürs weise, weiße Altern entscheiden und ein Leben als freie Frau leben. So wie meine Freundin, die noch nie daran gedacht hat, nicht grau zu werden. Ihre ursprünglich schwarzbraune, lange Mähne ist jetzt eine Melange, wie graues Chanel-Bouclé. Mir kommt der Vergleich, weil sie Französin und die schickste Frau ist, die ich kenne. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass ihre Eleganz daher rührt: Sie hat entschieden, dass ihre Haare ganz einfach kein adäquates Accessoire zur Erzählung ihrer Persönlichkeit sind. Old-Céline-High-Heels sind es. Oder die Art, wie sie ihren Schal drapiert. Ich beneide sie.

Die andere Möglichkeit ist, wie ich, den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Der Gegner scheint ja anfangs bezwingbar. Alle drei Monate zum Friseur, statt nur Spitzenschneiden jetzt eben noch Tönung. Aber irgendwann marschiert die in Reih und Glied aufgestellte Weiße-Haare-Armee – genannt Ansatz – in einem Vierwochen-Zyklus unaufhaltsam die Kopfhaut herab. Das bedeutet: jeden Monat geduldig auf einem Friseurstuhl sitzen und warten. Juckende Farbe einwirken lassen. Ausspülen. Mit dem Blondton nicht zufrieden sein (zu gelb, zu aschig) oder für immer dem Coloristen nachjagen, der was von natürlichen Brauntönen versteht (also es nicht mit einem billigen Rotstich oder zu viel Schwarz verbaselt).

Zeitmanagement

Dieser immense Zeit- und Emotionsaufwand fällt mit der Befreiung von einem anderen Vierwochen-Zyklus zusammen. Kaum stehen wir, hallo Menopause, kurz vor der totalen Freiheit, schließen wir uns Jahre vorher freiwillig in ein neues Zeitgefängnis ein, noch ein­engender als der weibliche Zyklus. Denn die Überdeckung der sprießenden Altersschwäche muss pedantisch mit Events aller Art in Einklang gebracht werden: mit Reisen, wichtigen Terminen, Dates. Ich weiß um die Absurdität des Ganzen. Ich weiß, dass Haarefärben antifeministisch, kostenintensiv und absolut uncool ist. Immer wieder sage ich mir, dass ich irgendwann damit aufhören werde, dass ich irgendwann nur noch mit Intelligenz, Witz und schönen Schuhen glänzen möchte. Der festgesetzte Zeitpunkt rutscht aber immer weiter nach hinten. Die schönste Frau Deutschlands, Iris Berben, hat mal in einem Interview gesagt, wenn sie keine Schau­spielerin wäre, würde sie ihr Haar grau tragen. Das ginge aber nicht, weil man damit für immer auf bestimmte Rollen festgelegt sei. Das gilt nicht nur für Schauspielerinnen, das gilt auch für mich: Ich will mich noch nicht festlegen. Vielleicht ist Färben einfach eine andere Form der Freiheit.

Autorin Julia Werner findet graue Haare großartig – bei anderen. Sie selbst hat den Grauen (vorerst) den Kampf angesagt und investiert viel Zeit, Geld und Nerven ins allmonatliche Ansatzfärben. Schöne Schuhe passen schließlich auch zu gefärbten Haaren.