Peptide: Die Body Builder

Ein Artikel von Kirstin Bock

Standhaft (Foto: Zeb Daemen)

Injektionen mit Peptiden sollen uns zu zeitloser Schönheit und einem langen Leben verhelfen. Was ist dran am Hype, und was sind die Risiken?

Jennifer Aniston schwört drauf und machte kürzlich im Interview mit dem „Wall Street Journal“ öffentlich, was vormals als eines der bestgehüteten Geheimnisse Hollywoods in Sachen Schönheit und Vitalität galt: regelmäßige Injektionen mit Peptiden. Von New York bis Los Angeles schossen in den USA Praxen aus dem Boden, die sich mit dem Claim „Metabolic Wellness“ schmücken. Ihr Versprechen: per Peptid-Therapie zur ultimativen Selbstjustierung hin zu einer jüngeren Version von sich selbst. Geworben wird mit der Optimierung des Stoffwechsels, verbesserter Lebensqualität und einem längeren Leben.

Quickfix für Alterserscheinungen

Ab etwa 100 Dollar pro Injektion geht es los, das angebliche Ergebnis sind straffere Haut, gesündere Zellen, mehr Muskeln, weniger Fett, mehr Libido, bessere Laune. Ein echter Quickfix also für alle Alterserscheinungen – man könnte beinahe den Eindruck bekommen, wer sich nicht mit Peptiden ­peppen lässt, der weiß es einfach nicht besser. Doch worum genau handelt es sich eigentlich bei diesen „Wundermolekülen“? „Peptide sind die kleinen Geschwister von Proteinen. Sie haben sehr kurze Aminosäureketten, werden einfach absorbiert und sind Bestandteile unseres Körpers, etwa als Hormone und Neurotransmitter“, erklärt Doktor Andrea Caletti, Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie in Berlin. „Sie aktivieren bestimmte Signalgeber im Körper. Deswegen herrscht ein großes Interesse an Peptiden im Anti-Aging Bereich.“ Denn im Laufe des Lebens wird die Aktivität der Zellen bekanntlich geringer. Mit der Verabreichung von bestimmten Peptiden sollen sie den Kick bekommen, wieder harmonischer und effizienter zu arbeiten.

„Das Versprechen der Peptid-Therapie: Optimierung des Stoffwechsels, verbesserte Lebensqualität und ein längeres Leben“

Kirstin Bock

Gegen Krankheiten und Anti-Aging

Das Prinzip ist in der Medizin nicht neu. Schon vor über 100 Jahren wurde mit dem Insulin das erste Medical Peptid entwickelt. Dafür gab es 1923 den Medizin-Nobelpreis, und bis heute gilt die Weiterent­wicklung dieses Arzneityps als eines der heißesten Themen der medizinischen Forschung. Neben Diabetes wird diese Art Medikament gegen viele Krankheiten eingesetzt, etwa Cyclosporin, das die Abstoßung von Organen nach Transplantationen unterdrückt, oder Teripatid bei Osteoporose. Die „Pharmazeutische Zeitung“ meldete Anfang des Jahres, dass zurzeit 80 Peptide als Arzneimittel zuge­lassen sind und sich mehr als 150 weitere in der klinischen Entwicklung befinden. 2019 wurde damit ein Umsatz von über 50 Milliarden US-Dollar gemacht, für 2025 prognostizieren Marktforscher 65 Milliarden Dollar.

Neben dem Pharma-Markt gibt es allerdings noch einen zweiten, dessen Peptide nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Trotzdem finden sie in den USA in Anti-Aging-Therapien Verwendung. Man kann sie sich sogar nach Hause liefern lassen, Tipps für die besten Mischungen und zum Spritzen gibt es auf Youtube. „Heute kommt man im Internet an jede Substanz heran, ob legal oder nicht“, stellt Dr. Caletti nüchtern fest. „Im Fall dieser Peptide handelt es sich um eine rechtliche Grauzone, die funktioniert, weil die Verpackungen mit dem Aufdruck ,nur zu Forschungszwecken‘ versehen sind.“

So weit, so unübersichtlich, wie überhaupt das ganze Thema. „Der Begriff Peptid-Therapie ist sehr schwammig. Bei den Behandlungen wird viel durcheinander gemixt, Substanzen, die man aus dem Doping kennt, aber auch Kollagen, Hormone oder völlig wirkungslose Mittel“, weiß der Münchner Dermatologe Dr. Stefan Duve. „Der Riesenhype in den USA schwappt aber nach Europa herüber. Deswegen wäre eine Standardisierung von Peptid-Therapien wünschenswert.“

In der Regel kommen bei Anti-Aging-Peptid-­Therapien folgende Substanzen – allein oder im Cocktail – zum Einsatz.

Zellregeneration

TB500, auch Thymosin Beta-4 genannt, beschleunigt Heilungsprozesse und sorgt so für die schnellere Genesung von Muskel- und Sehnenverletzungen, verbessert die Regeneration der Haut sowie die Struktur des Bindegewebes und fördert das Muskelwachstum. „Dieses Peptid wird in der Tiermedizin benutzt, etwa um bei Rennpferden eine Vernarbung der Sehnen zu verhindern“, so Dr. Caletti. „Im Body­building ist es zur Regeneration des Bindegewebes beliebt.“ Bisher seien keine ernsthaften Nebenwirkungen bekannt, aber bei Doping-Tests falle das Peptid positiv auf.

Anti-entzündlich

Das Gleiche gilt für Body Protection Compound 157, kurz BPC 157, ein Peptid, das im Verdauungssystem vorkommt. Seine Aufgabe ist es unter anderem, die Magenschleimhaut vor der Magensäure zu schützen. Es beschleunigt den Gefäßaufbau, die Wundheilung und ist ein Entzündungshemmer. Davon soll der Körper profitieren, weil Entzündungen den Alterungsprozess beschleunigen können. „BPC 157 wird gerne bei Sportverletzungen eingesetzt, weil es die Produktion von neuen Gefäßen auch in Gewebe anregt, das nicht stark durchblutet ist, wie etwa Bänder und Sehnen“, sagt Dr. Caletti. „Es ist nicht illegal, jedoch auch nicht offiziell legal. BPC 157 befindet sich noch in der Forschungsphase, wodurch der Konsum nach gesundem Menschenverstand nicht als sicher eingestuft werden kann.“ An Nebenwirkungen wurden bislang Verdauungsstörungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schwindel beobachtet.

Festes Gewebe

Ein weiterer Bestandteil einer Peptid-Therapie kann GHK-cu sein, auch als Hollywood-Peptid beworben und ebenfalls nicht offiziell als Medikament zugelassen. Es hat die Fähigkeit, Kupfer zu binden und das Bindegewebe zu unterstützen. „GHK-cu gibt es als Spritze oder Tropfen. Es aktiviert bestimmte Gene, hat eine positive Wirkung auf die Wundheilung, ist antioxidativ und stimuliert die Produktion von Kollagen. Man kann es daher auch präventiv einsetzen“, erklärt Dr. Caletti. Sein Kollege Dr. Duve warnt allerdings: „Bei Metallen wäre ich vorsichtig. Man weiß nicht, ob sie sich im Körper anreichern und auch nichts über mögliche Nebenwirkungen.“

Anti-Aging

Anders sieht es bei Injektionen mit verschiedenen Wachstumshormonen aus: Deren Liste der Nebenwirkungen ist lang. Beobachtet wurden ein Wachstum von Stirn und Händen, Wassereinlagerungen, Diabetes, Gelenkprobleme und ein erhöhtes Krebsrisiko. Trotzdem gelten Wachstumshormone seit Jahrzehnten als Jungbrunnen der Reichen und Schönen – allerdings unter der Hand, denn es ist verboten, sie zu Anti-Aging-Zwecken einzusetzen. Auch wenn sie Wundheilung, Muskelaufbau und Kollagen­synthese unterstützen, die Bildung neuer Blutgefäße fördern und die Knochen dichter machen. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erklärt: „Anti-Aging-Effekte bezüglich Hormongaben im Alter sind nicht belegt, verursachen unnötige Kosten und sollten aufgrund potenzieller Risiken nicht außerhalb klinischer Studien durchgeführt werden.“

Weniger Gewicht

Eine Peptid-Substanz mit Abnehmwirkung hat es im Sommer dieses Jahres in Deutschland in die Schlagzeilen geschafft: Semaglutid aus der Diabetes-Therapie, bekannt unter den Handelsnamen „Ozempic“ oder „Wygovi“. „Patient*innen, die das Medikament nahmen, verloren nachgewiesenermaßen bis zu 15 Prozent an Gewicht“, berichtet Dr. Caletti. „Daraufhin begann der Run auf Semaglutid. Es kam zu Engpässen in der Pharmaindustrie, und Patient*innen, die das Medikament dringend brauchten, kamen nicht mehr dran.“

Der Arzt sieht den Einsatz bei gesunden Menschen eher skeptisch: „Sinnvoller wäre es, seinen Lebensstil zu ändern und eine professionelle Er­nährungsberatung zu machen. Denn sobald das Semaglutid abgesetzt wird, kommt es zum Jo-Jo-Effekt.“ Als Nebenwirkungen wurden laut Dr. Caletti Entzündungen der Bauchspeicheldrüse beobachtet und sogar Suizid, weil es zu einer Abstumpfung der Dopamin-Ausschüttung kommt. Diese wiederum gilt als eine Ursache von Depressionen. Dermatologe Dr. Duve gibt außerdem zu bedenken: „Man kennt die Nebenwirkungen bei Gesunden nicht. Das Medikament wurde ja nur an Diabetikern getestet.“

Unbekannte Risiken

Genau hier liegt generell das Problem bei der seriösen Einschätzung von „Medical Wellness“-Peptid-Therapien: Die Test- und Studienlage ist dürftig, oftmals ist der Nutzen nur im Tierversuch bewiesen, die Nebenwirkungen sind nicht ausreichend erforscht, und Langzeitstudien fehlen erst recht. „Aus Erfahrung funktionieren die Spritzen, aber wir kennen die Risiken nicht“, so das Fazit von Dr. Caletti. „Substanzen, die keine Zulassung haben, sind bedenklich, und alle anderen gehören unter ärztliche Aufsicht. Bevor man irgendetwas spritzt, braucht es nicht nur eine Untersuchung mit einem großen Blutbild. Als Arzt muss man sich zusätzlich ein Bild vom gesamten Menschen machen.“ Und Dr. Duve rät: „Wenn man sich für so eine Therapie entscheidet, sollte man sich zuvor genau über die Peptide, die gespritzt werden, und deren Nebenwirkungen informieren.“ Notfalls solle man sich die Ampullen zeigen lassen. „Gibt es dagegen Widerstände, dann stimmt etwas nicht“, warnt der Arzt.

Denn eines ist auch klar: Mit allem, was das Leben länger, schöner, lebenswerter machen soll, lässt sich sehr viel Geld verdienen.

Dr. Andrea Caletti ist leitender Arzt am Arona Institut für Vitalität und Ästhetik in Berlin. Er ist Facharzt für Plastische & Ästhetische Chirurgie und befasst sich seit 20 Jahren intensiv mit der regenerativen Medizin und der Stammzellentherapie. Ein Fokus liegt dabei auf Peptiden.

Dr. Stefan Duve ist Dermatologe und Anti-Aging-Spezialist am Haut- und Laser-Zentrum an der Oper in München und beschäftigt sich in seiner Praxis u. a. mit Longevity-Therapien. Dieser ganzheitliche Ansatz basiert auf Prävention und Gesundheitsförderung.