Wozu jünger aussehen, als man ist?

Ein Essay von Bettina Billerbeck

Wow, für dein Alter! (Foto: Adriano Russo)

Das Verhältnis von Aussehen, Jahrgang und Mut sollte kein Gesprächsthema mehr sein, findet unsere Autorin. Alle drei zu entkoppeln, dient unser aller Vergleicheritis-Prophylaxe – und wertet Komplimente auf

Eines der größten Nicht-Komplimente, also Non-Plimente, ist die Schmeichelei samt Wurmfortsatz „für dein Alter“. Nicht mal Jennifer Aniston freut sich darüber, wenn jemand zu ihr sagt, siehe sehe gut aus für Anfang 50: „Gutes Alter ist doch nicht an eine Zahl geknüpft“, soll sie mal geäußert haben. Und sie hat recht: Erst wenn man das relativierende Satz-Bürzel weglässt, wird aus dem halben Kompliment ein ganzes.

„Mutig“ ist hier kein ein Kompliment 

Aussehen in Relation zum Alter zu setzen, führt nur zu der chronischen Form von Vergleicheritis, die man in der Mitte des Lebens hinter sich gelassen haben sollte. Tut Heidi Klum den Frauen ihrer Generation einen Gefallen, wenn sie ständig ihren nackten Hintern auf Instagram zeigt? Oder Lifestyle-Legende Marta Stewart, die sich mit 81 im Badeanzug (okay, mit Mantel) für die Titelseite der amerikanischen Sports Illustrated fotografieren ließ? Wahrscheinlich nicht, sie tun es für die Reichweite und sich selbst – und loten nebenbei die Grenzbereiche von Instagram-Filtern und Photoshop aus.

Über ein anderes Non-Pliment dürfen sich weibliche Stars, deren Oberschenkel im Badeanzug unfreiwillig fotografiert und unbearbeitet veröffentlicht werden, freuen: das redaktionelle Urteil, sie seien „mutig“, zu übersetzen als „an ihrer Stelle hätte ich das nicht gemacht!“.

Mit 50 aussehen wie 50?

Beim Start der ersten Staffel des „Sex and the City“-Nachfolgers „And just like that“ waren die Zuschauerinnen geradezu erleichtert, dass die Hauptdarstellerinnen so alt aussehen, wie sie in der Serie sind: um die 50. Und wer zu viel im Gesicht hat machen lassen (you know who!), sah auch nicht jünger aus sondern „gemacht“, was bekanntlich keinen Vorteil bringt. Auf ihr 50er-Gesicht als über 50-Jährige angesprochen, soll Sarah Jessica Parker übrigens gesagt haben: „Ich weiß, wie ich aussehe. Ich habe keine Wahl. Was soll ich denn dagegen unternehmen? Aufhören, älter zu werden? Mich in Luft auflösen?“ Und sie sieht fabelhaft aus, auch in Staffel Zwei, die ab der fünften Folge gut wird.

SJP's bildschöne Kollegin Brooke Shields, 58, hat gerade in einem Instagram-Reel für ihre Plattform „Beginning is now“ zum Thema Anti-Aging-Wettbewerb geposted: „Es wird mir nicht gelingen, so auszusehen wie in meinem 20ern. Das Einzige, was ich tun kann, ist mich um das, was jetzt da ist, bestmöglich zu kümmern. Ja, ich möchte so gut aussehen wie’s eben geht. Aber man sollte sich nicht mit anderen vergleichen.“

Ob jünger auszusehen einen Wert hat, entscheiden wir selbst 

Noch abstruser als die Relation von Alter zu Aussehen ist übrigens das angebliche Verhältnis von Body Mass Index zu Liebe. Ich muss da immer an Pierce Brosnan denken, der ständig über seine „bedingungslose Liebe und ein riesiges Zeichen der Loyalität“ lesen muss, weil er seit 20 Jahren mit einem ehemaligen Model verheiratet bleibt, das mittlerweile auf Konfektionsgröße 42/44 herangewachsen ist. Als sei es ein Ding der Unmöglichkeit für einen Weltstar, seine Frau unabhängig von ihrem Körpergewicht einfach weiter zu vergöttern. Aber das nur am Rande.

Kann man sich trotzdem freuen, wenn Menschen einen jünger schätzen als man ist? Klar, denn damit muss ja nicht die Collagenstruktur der Haut gemeint sein, vielleicht ist es auch die Ausstrahlung samt Geisteshaltung. Vielleicht sieht man einen Wert darin, für jünger gehalten zu werden als man ist, vielleicht aber auch nicht. Das Schöne ist: In unserem Alter entscheiden wir das selbst.