Mache ich eigentlich alles falsch?

Ein Essay von Nicole Lauscher

Alles im Griff! (Foto: Adriano Russo)

Bei dem Versuch, ein möglichst gutes Vorbild für meine Töchter zu sein, habe ich etwas Entscheidendes vergessen: mich selbst

Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie alles richtig machen wollen und Ihnen dann jemand sagt, dass das, was Sie tun, möglicherweise komplett falsch ist? Dieses Gefühl treibt mich seit Neujahr um. Ursache ist die steile These eines Kinder- und Jugendpsychiaters, über die ich am Neujahrstag gestolpert bin – und die Tatsache, dass ich zwei Töchter habe.

Meine ältere Tochter war knapp drei Jahre alt, da erzählte sie ihren Freundinnen (es war wirklich so, ich war dabei): „Meine Mama kann einfach nichts. Sie kann nicht Autofahren. Sie kann nicht einmal Rutschen!“ Und obwohl ich in Wahrheit beides kann – es macht mir nur keinen Spaß, weshalb ich es vermeide – war ich nachhaltig irritiert. Das war also das Bild, das ich meinem Kind vermittle? Der Papa kann alles, die Mama nichts? Das wollte ich ändern.


Ich will die Rolle der gleichberechtigten Frau vorleben

Ich war zu der Zeit in Elternzeit und ohnehin auf der Suche nach einem anderen Job, der mir mehr Entwicklungsmöglichkeiten, mehr Verantwortung, mehr Spaß und mehr Geld bringen würde als der damalige. Dass der, den ich fand, nur mit dem Auto zu erreichen war, war für mich jetzt kein Hindernis – im Gegenteil.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nicht den Arbeitsplatz gewechselt, um einer Dreijährigen zu beweisen, dass ich Autofahren kann. Aber ich fand nun die Tatsache, dass ich es täglich musste, weniger schlimm. Der Job war für mich eine Chance. Er war wichtig für mein Selbstbewusstsein und wichtig für mein Selbstverständnis als Frau, die genauso Vollzeit berufstätig und erfolgreich sein kann wie ein Mann – ein Bild, dass ich auch meinen Töchtern mitgeben wollte.

Ich will keine Superheldin sein

Inzwischen habe ich einen Job, in dem ich noch mehr Verantwortung trage, noch mehr Geld verdiene und mich noch stärker weiterentwickle – ich liebe ihn. Und nein: Ich erwarte nicht, dass meine Töchter mich deshalb als Superheldin wahrnehmen. Wenn ich nach acht Stunden im Job, vier Stunden mit den Kindern und einer Stunde Hausarbeit abends gegen 21 Uhr den Laptop noch einmal aufklappe, um eine Kundenpräsentation für den nächsten Tag fertig zu machen, dann bin ich auch wirklich keine Superheldin, die es problemlos schafft, einen spannenden Job, großartige Kinder und das bisschen Haushalt zu jonglieren. Ich bin einfach nur: erschöpft.

Als ich am Neujahrstag – endlich nochmal Zeit für mich – durch meinen Feed scrolle, stoße ich auf ein Interview mit dem Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort mit dem Titel: „Die Töchter wollen nicht so ein Leben wir ihre erschöpften Mütter“. Er beschreibt, dass er in seiner Praxis immer mehr Mädchen erlebt, die Angst vor dem Leben haben, die extrem antriebs- und ziellos sind. Dieses Phänomen beträfe speziell Töchter, deren Mütter erfolgreich im Beruf stehen, mehrere Kinder haben und gleichzeitig den Haushalt schmeißen. Hoch alarmiert lese ich, dass die Mädchen ihre Mütter nicht nur nicht als Vorbild sehen: „Mütter dienen ihren Töchtern nicht einmal mehr als abschreckendes Beispiel.“


Es geht darum, glücklich zu sein, nicht erschöpft

Das Interview fängt mich, weil ich mich in der Rolle dieser Mütter ziemlich genau wiederfinde. Und ich bekomme Angst, dass die Beschreibung der Mädchen eines Tages auch auf meine Töchter zutreffen könnte. Dass ich durch meinen Anspruch an mich selbst, meine Töchter unbewusst unter Druck setze.

Und nicht gleich aufregen, Schulte-Markwort schwört kein „früher war alles besser“ herauf. Im Gegenteil: Er sagt, dass wir noch immer in antiquierten Rollenbildern gefangen sind, solange Frauen zwar beruflich durchstarten, aber trotzdem den Großteil der Care-Arbeit leisten und die eigenen Bedürfnisse hintanstellen. Er warnt vor diesem hohen Anspruch den wir Mütter an uns selbst haben und sagt: „Entscheidend ist für mich der Erschöpfungszustand der Mutter.“

Ich bleibe dran

Seit Neujahr versuche ich nun, mir diesen Anspruch abzugewöhnen. Das Gute ist: Es geht nicht darum, noch mehr Zeit in die Care-Arbeit zu investieren, sondern in die eigenen Bedürfnisse. Es geht darum, dass ich „mein eigenes Leben als glücklich empfinde und das in die Familie trage“, so Schulte-Markwort. Und es geht auch darum, ehrlich zu sein und zuzugeben, wenn es einem zu viel wird.

Ehrlich gesagt, muss ich erst wieder üben, meine eigenen Bedürfnisse nach vorn zu stellen. Ich führe Kalender, damit ich es schaffe, einmal pro Woche zum Sport zu gehen und einmal eine Freundin zum Quatschen zu treffen. Und manchmal zwinge ich mich, die Spülmaschine nicht auszuräumen, damit jemand anders das übernimmt. Es gelingt mir nicht immer, aber ich bleibe dran.

„Ich führe Kalender, damit ich es schaffe, einmal pro Woche zum Sport zu gehen und einmal eine Freundin zum Quatschen zu treffen“

Nicole Lauscher