Kündigungsgrund Wechseljahre

Look von Prada (Foto: Adriano Russo)

Neun Millionen Frauen in Deutschland erleben gerade die Wechseljahre. Zwei Drittel von ihnen haben starke oder mittelstarke Beschwerden – und das natürlich auch dann, wenn sie gerade am Arbeitsplatz sind. Mit welchen Folgen, das hat die Professorin Andrea Rumler untersucht

Sie sind im besten Fall hoch motiviert, sehr gut ausgebildet und haben keine Schwierigkeiten mehr, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen: Es sind also genau die Arbeitskräfte, die Unternehmen sich wünschen. Trotzdem tun Firmen noch viel zu wenig dafür, Frauen in den Wechseljahren zu unterstützen und zu halten. Professorin Andrea Rumler hat 2119 Frauen zwischen 28 und 67 Jahren zum Thema Wechseljahre im Job befragt.

„Wechseljahre sind ein Wirtschaftsfaktor und werden eine immer größere Rolle für den Fachkräftemangel spielen.“

Andrea Rumler

MAISON MADAME: Frau Prof. Rumler, es gibt sehr unterschiedliche Beschwerden, die Frauen in den Wechseljahren erleben. Welche sind im Job besonders schlimm?

Andrea Rumler:Die Beschwerden, durch die sich die meisten Betroffenen in unserer Befragung beeinträchtigt fühlten, waren: körperliche und geistige Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit, depressive Verstimmung und Hitzewallungen bzw. Schwitzen.

Alles sehr unangenehme Symptome.

Mehr als das. Die Folgen dieser Symptome sind nicht nur, dass sich die Frauen weniger gut konzentrieren können, sich gestresster fühlen und ungeduldiger gegenüber anderen sind. Sie haben auch weniger Selbstbewusstsein bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten.

Eine britische Umfrage hat ergeben, dass die Wechseljahre Frauen daran hindern, Führungspositionen zu übernehmen oder sich um eine Beförderung zu bemühen.

Das hat auch unsere Untersuchung bestätigt. Insgesamt entsprechen sehr viele unserer Ergebnisse denen der von Ihnen genannten Studie „Menopause and the workplace“ von 2022. Wir sehen, dass die Probleme international die gleichen sind. Wechseljahre sind ein Wirtschaftsfaktor und werden eine immer größere Rolle für den Fachkräftemangel spielen.

Können Sie das erklären?

Von den Frauen über 55 Jahre mit Wechseljahressymptomen, die wir befragt haben, sagten knapp 20 Prozent, dass sie früher in Rente gehen wollen. Ein Viertel hat wegen der Beschwerden bereits Stunden reduziert. Und rund 18 Prozent haben sich eine Auszeit von der Arbeit genommen oder die Stelle gewechselt. Aktuell sind die geburtenstarken Jahrgänge in den Wechseljahren. Wenn wir nichts dagegen tun, werden diese Frauen fehlen.

Und was können Unternehmen tun, um diese Frauen zu halten?

Sehr viel … Informieren. Unterstützen. Tabus brechen. Und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen. Es reicht nicht, die betroffenen Frauen anzusprechen. Auch HR und Personen in Führungspositionen müssen aufgeklärt werden sowie letztlich alle Mitarbeitenden gleich welchen Geschlechts und Alters. Nur rund vier Prozent unserer Studienteilnehmerinnen gaben an, dass ihre Führungskräfte und Kolleg:innen für das Thema Wechseljahre sensibilisiert sind – das bedeutet im Umkehrschluss: 96 Prozent sind es nicht.

„Wir könnten ein Umdenken erreichen, wenn wir über Geld sprechen.“

Andrea Rumler

Wie sehen ihre konkreten Forderungen oder Wünsche aus?

Schulungen für Führungskräfte und HR, um die Awareness zu steigern, wären ein erster Schritt. Ich wünsche mir außerdem, dass es zumindest in größeren Unternehmen Wechseljahresbeauftragte gibt, die die Frauen ganz individuell unterstützen, die informieren und ihnen zum Beispiel auch dabei helfen, für ihre Beschwerden einen Spezialisten oder eine Spezialistin zu finden. Auch betriebsärztliche und psychologische Betreuung zum Thema Wechseljahre sind nötig und warum nicht auch spezielle Sportangebote?

Welche Möglichkeiten gibt es schnell und unkompliziert – also vergleichbar mit dem speziellen Stuhl bei Rückenschmerzen?

Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice sind natürlich eine große Erleichterung, die unabhängig von der Unternehmensgröße angeboten werden können. Daneben gibt es viele ganz praktische Faktoren: ein Fenster, das sich öffnen lässt, ein Ventilator bzw. ein klimatisierter Arbeitsplatz. Und ein guter Zugang zu Toiletten. Wenn es Kleidungsvorschriften gibt, dann: bitte keine einengende Kleidung, in der man schnell schwitzt oder in der man Schweißflecken gut sieht. Und ganz wichtig: die Möglichkeit einer offenen Kommunikation und Austauschmöglichkeiten unter Betroffenen.

Wollen Frauen denn tatsächlich im Job über Wechseljahre reden?

Fast 70 Prozent der Befragten in unserer Studie gaben an, dass sie sich eine offene Kommunikation zu dem Thema wünschen.

Die Realität sieht ja leider noch anders aus.

Ganz genau. Fast 80 Prozent der Befragten sagten, dass im Job nie oder nur selten über die Wechseljahre gesprochen wird. Mehr als die Hälfte erlebte die Menopause als Tabuthema. Und zwei Drittel sagten, dass sie versuchen, sichtbare Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche am Arbeitsplatz zu verstecken.

Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns.

Das Thema Wechseljahre ist nicht sexy und wird es auch nicht werden. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir ein Umdenken erreichen können, wenn wir über Geld sprechen.

Wie das?

Ganz einfach. Die Unternehmen müssen sehen, wie viel Geld sie verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, diese qualifizierten und motivierten Frauen zu halten, wo sie doch mit einem vergleichbar überschaubaren Aufwand viel erreichen könnten.

Andrea Rumler ist Professorin für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) (Foto: Uwe Neumann)