Warum uns schönes Haar so viel bedeutet

Ein Essay von Eva Meschede

Haare sind nicht nur zum Flechten da (Foto: Adriano Russo)

Über die Aussagekraft der Frisur und das souveräne Bekenntnis zu „halblang gestuft“

Es ist eine Kleinigkeit, mit der meine Friseurin Isy mich einfach glücklich macht. Irgendwann während des Schnitts, den sie mir schon seit mehr als zehn Jahren verpasst, lässt sie jedes Mal meine Haare durch ihre Finger gleiten und sagt: „Du hast so schöne Haare.“ Anschließend ist meine Laune im Hoch. Egal, welches Tief vorher in mir grollte, dieser eine Satz hilft besser als ein Antidepressivum. Ich laufe beschwingt zur Arbeit, spiegle mich auf dem Weg in den Schaufenstern, fühle mich jung, erfrischt, einfach nur großartig. Dieser Good Hair Day gehört eindeutig zu den besten des Jahres.


Typ „Braun-Halblang Gestuft“

„Schöne Haare“, das ist für die meisten Frauen eines der Lieblingskomplimente. Haare bedeuten uns viel, sie sind unser Markenzeichen, Aushängeschild, der erste Eindruck für andere. Natürlich gehören sie nur zu den äußeren Werten, aber sie sind trotzdem Ausdruck unserer Persönlichkeit. Man stelle sich Carrie Brad­shaw mit Undercut vor … Mit unseren Haaren können wir machen und darstellen, was wir wollen. Nichts ist so wandelbar wie die Frisur.

Als ich zum ersten Mal bei Isy war, sagte sie etwas von „Typveränderung“. Und ich knurrte, dass ich meinen Typ auf gar keinen Fall mehr verändern möchte. Sicher gehört dieses Umstyling zu den Lieblingsherausforderungen aller Friseur*innen. Denn nur ihre Berufsgruppe verfügt über die Superpower, einen Typ radikal zu verwandeln. Ansonsten kann man ja nur sich selbst ändern, sagen Psycholog*innen. Also hoffen Coiffeur*innen täglich auf diese Frau mit Liebeskummer, die vor dem Spiegel ihren Undone-Bun löst und sagt: „Alles ab, raspelkurz!“

Ich mag meine Haare, auch wenn sie die Mehrheitsfarbe Braun haben, leicht gewellt, dünn, aber dafür viele sind. Seit einigen Jahren bin ich der Typ „Halblang Gestuft“, nach dem Salonbesuch reichen meine Haare bis auf die Schulter, dann wachsen sie bis zum nächsten vor sich hin – manchmal zu lange, etwa in der Pandemie, als Isy mich schließlich mit dem Schneidewerkzeug im Notfallkoffer in meiner Küche retten musste. Selten war die therapeutische Wirkung eines Haarschnitts wichtiger.

Eine Experimentierphase in früheren Jahren hat mich gelehrt, dass das Halblang zu mir passt und am praktikabelsten ist. Patente Lässigkeit gefällt mir. Als Kind hatte ich lange Haare und hörte jeden Morgen: „Wenn du nicht still hältst, schneiden wir sie ab!“ Meine Mutter verzweifelte beim täglichen Kampf mit der Pracht auf dem Kopf einer zappelnden Grundschülerin, die nur mit ordentlichen Zöpfen aus dem Haus gehen sollte. In der Oberstufe hatten gefühlt alle Mädchen braune lange Haare. Ich setzte mich mit roter Henna-Mähne von der Masse ab.

Ein Haarschnitt als Zeichen der Zugehörigkeit

Haare können so viel, sie signalisieren Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Bewegung, sind oft auch ein politisches Statement: Die Hippies protestierten mit Länge gegen das Establishment und den Vietnamkrieg; im Iran schneiden sie sich Frauen ihre Haare unter Lebensgefahr öffentlich ab, als Zeichen gegen die Unterdrückung und für ihre Freiheit. Während meines Studiums war Punk „Queen of the Hip“ gegen Spießigkeit. Ich wollte, dass auch mir die Haare zu Berge stehen. Für die echten Styling-Utensilien Zuckerwasser und Bier war ich aber trotzdem nicht bereit, und die halbe Dose „Drei Wetter Taft“, mit der mein Bruder sein Iro-Langhaar über der gezackt rasierten Linie in den Sidecuts aufstellte, schien mir irgendwie ungesund. Mit einer leichten Ansatzdauerwelle könne man den Haaren Stand geben, meinte der damals neue Hairdresser meines Vertrauens. „Ich würde das nicht machen“, flüsterte mir seine Assistentin noch am Waschbecken zu, als sie meine taillenlangen Haare für den Radikalschnitt vorbereitete. Sie selbst trug einen sehr hellblonden, sehr kurzen Kurzhaarschnitt.

Der Halt am Ansatz währte nicht lange, nach drei Wochen sah ich aus wie Rudi Völler. Es half nur der sehr kurze Kurzhaarschnitt, immerhin mit einer ­coolen Strähne, die rechts über die Stirn fiel. Das sah apart feministisch aus, fand ich. Sollte aber feststellen, dass für so einen Look alle vier Wochen nachgeschnitten werden muss. Es folgte eine den Punk überdauernde haarige Übergangsphase, mit Hand­feger-Style, Pony-Experimenten, Vokuhila, Hiku-vola, Strähnchen, einem kurzen Bob, der dann schließlich zum schlichten „Halblang Gestuft“ führte. „Halblang Gestuft“ – das bin jetzt ich.

Veränderungen finden trotzdem statt, denn meine Haare führen auch ein Eigenleben. Sie wurden im Laufe der Jahre dunkler, in der Schwangerschaft mehr und lockiger, um sich danach wieder zu reduzieren. Seit einiger Zeit wachsen überall auf dem Kopf verteilt einzelne weiße Neuzugänge. Diese lustigen Strähnen sind dicker und lockiger als ihre Kollegen. Vor allem wenn es regnet, ringeln sie sich störrisch kreuz und quer. Widerborstig lassen sie sich nicht unterkriegen. So wie ich.

„Haare sind auch ein politisches Statement: Im Iran schneiden sich Frauen ihre öffentlich ab – für die Freiheit.“