Keine Lust auf Sex?

Ein Interview von Sabrina Waffenschmidt

Die Lust-Welt steht Kopf (Foto: Sabrina Theissen)

Viele Frauen in den Wechseljahren klagen über Libidoverlust – manche verabschieden nach und nach von ihrer Sexualität. Das hat nicht nur mit den Hormonen zu tun, wie Sexualtherapeutin und Systemischer Coach Anke Noack, erklärt

MAISON MADAME: Frauen in den Wechseljahren sind in einer hormonbedingten Extremsituation. Mit welchen Problemen und Wünschen kommen sie zu Ihnen in die Praxis?

Anke Noack: Viele meiner 45-Plus-Klientinnen befinden sich in der Perimenopause. Zwei Drittel der Frauen im Klimakterium haben Beschwerden, allen voran Muskel- und Gelenksbeschwerden, die berühmten Hitzewallungen und Schlafstörungen. All das hat Auswirkungen auf unsere Sexualität. Viele fühlen sich nicht mehr wohl in ihrem Körper: Ich sehe nicht mehr so aus wie ich das möchte! Ich rieche irgendwie anders! Mein Schwitzen stört mich! Manche bringen auch ihr mangelndes sexuelles Begehren mit den Wechseljahren in Verbindung. Doch häufig hilft auch das Wissen um den Hormonstatus nicht weiter, um (wieder) in die sexuelle Lust zu finden.

Sondern?

Häufig gerät die eigene Sexualität in diesem Alter überhaupt erst wieder in den Fokus, weil Themen wie Kinder und Karriere weniger Raum einnehmen. Die Frauen fragen sich dann: Was geht da eigentlich noch? An diesem Punkt lohnt es sich, den eigenen Weg in die Erregung genauer unter die Lupe zu nehmen. Ist dieser Weg hauptsächlich mit Arbeit verbunden? Oder erlebe ich ein körperliches und emotionales Wohlgefühl während meiner sexuellen Begegnung oder in der Selbstbefriedigung? Auch die Beziehungsdynamik wird in der Therapie betrachtet.

„Es lohnt sich, das eigene sexuelle Erleben zu erkunden“

Anke Noack

Die Wechseljahre sind also gar nicht Ursache für die fehlende Libido, sondern vielmehr das sexuelle Erleben?

Ja, habe ich Sex, der sich lohnt, wiederholt zu werden? Und fühle ich mich dabei auch in meinem sich verändernden Körper wohl? Der Weg ins sexuelle Lusterleben führt immer darüber, mich in meinem Körper sicher zu fühlen, mich sexuell kompetent zu finden und mich darin zeigen zu wollen. Dabei unterstütze ich Frauen, indem wir viele interessante Punkte ihres sexuellen Lernwegs erkunden.

Auf welche Themen stoßen Sie dabei?

Gewisse Erwartungshaltungen entstammen persönlichen wie auch gesellschaftlichen Prägungen. Es lohnt sich, die eigenen Ideale zu hinterfragen. Insbesondere in einer Zeit, in der sogenannte Schönheits-OPs zunehmen. Viele verspüren einen Performancedruck und haben Angst, dass der Partner sich eine Andere sucht, wenn sie es jetzt nicht bringen! Doch wenn allein der Gedanke an Sex schon Stress auslöst, ist es nur logisch, dass wir nicht in die Lust kommen.

Ist das ein typisches Frauenproblem?

Nein. Auch Männer sind immer häufiger von einer Performance Anxiety betroffen. Mit diesem Stress kommt es nicht erst mit zunehmendem Alter zu Erektionsstörungen und der Angst „den Mann nicht mehr stehen zu können“. Und Frauen denken, sie müssten weiterhin satt und feucht vor ihrem Partner liegen. Mit dem Östrogenabfall haben viele aber auch mit vaginaler Trockenheit zu kämpfen.

… was penetrativen Sex schmerzhaft machen kann. Doch es gibt ja auch andere Möglichkeiten.

Es lohnt sich immer, Sexualität in seiner Vielfalt auszuloten und nicht nur als Penis-in-Vagina-Aktion zu betrachten. Mir begegnen immer mehr Männer, die ein Interesse daran haben, ihre sexuellen Spielräume zu erweitern oder in die Verlangsamung und ins achtsamere Wahrnehmen zu gehen. Das Bedürfnis von Frauen nach einem Aufnehmen, nach einem „Ich-will-dich-in-mir-spüren“, ist durch Schmerzen beim Sex aber ein häufiges Anliegen in meiner Praxis. Wenn die Vagina sagt „Du kommst mir hier nicht mehr rein!“ lohnt sich ein Blick auf die Beziehungsdynamik, auf eigene Leistungsmuster sowie auf den Umgang mit dem eigenen Körper auf dem Weg zum Höhepunkt.

Was kann man tun, wenn die Vagina dicht macht?

In diesem Fall empfehle ich eine körperorientierte Sexualtherapie. Was passiert in meinem Körper und wie kann ich das möglicherweise steuern? Wenn wir gestresst sind, unsere Muskeln anspannen und flach atmen, mindert das auch die Durchblutung in den Vaginalwänden, was wiederum vaginale Trockenheit fördert. Über diese Wechselwirkungen müssen wir uns bewusst werden. Interessant ist: Auch in den Wechseljahren können Frauen mit ausreichender Stimulierung so feucht werden wie eh und je.

Wie wichtig ist Beckenbodentraining? Ein starker Beckenboden soll doch für intensivere Orgasmen sorgen, heißt es.

Ja, aber bitte nicht zu viel! Wenn ich einen sehr stark ausgeprägten Beckenbodenmuskel habe, kann das eher kontraproduktiv sein – und er macht dicht. Vielmehr geht es darum, überhaupt in die Körperwahrnehmung zu kommen: den Beckenraum wahrnehmen, den Brustraum öffnen, tief atmen und dann mal den Beckenbodenmuskel ganz fein ansteuern. Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen, mit sich selbst zu experimentieren, die Körper-Landkarte zu erweitern und so die sensomotorischen Bahnen ins Hirn zu vertiefen.

Was möchten Sie Frauen für ein erfülltes Sexleben – egal in welcher Lebensphase – mitgeben?
Sexualität ist ein Leben lang gestaltbar. Wir haben oft den Eindruck, dass Sexualität etwas ganz Natürliches ist, etwas, das einem gegeben ist – oder auch nicht. Natürlich ist es jedoch nur insofern, dass Tiere wissen, wie sie sich fortpflanzen müssen, um ihre Art zu erhalten. Doch Sexualität, wie wir sie als Menschen verstehen, ist erlernt. Es lohnt sich also in jedem Alter, dranzubleiben und die Neugier nicht zu verlieren!

Anke Noack, Sexualtherapeutin und Systemischer Coach (Foto: Privat)