„Joggen reicht nicht mehr ab 40“

Ein Interview von Eva Meschede

Als würden wir nicht schon genug im Leben stemmen (Foto: Katia Wik)

Peggy Reichelt ist Mitgründerin der Plattform „XbyX – Women in Balance“, die Frauen in den Wechseljahren unterstützt. Sie erklärt, warum Krafttraining ab einem gewissen Alter unverzichtbar ist (und man das Wort Osteopenie kennen sollte)

MAISON MADAME: Für das Herz laufen wir, für die Beweglichkeit machen wir Yoga, muss es auch noch Bodybuilding sein – keine Frau will dicke Muckis?

Peggy Reichelt: Mein Lieblingsthema, weil ich das öfter höre: „Ich will keine Muskelberge.“ Keine Panik, das passiert nicht. Wir haben von Natur aus sehr viel weniger Muskelmasse als Männer, keine normal trainierende Frau wird je aussehen wie ein Bodybuilder. Für sie ist Muskeltraining aber sehr wichtig, je älter sie wird. Denn mit zunehmendem Alter bauen wir Muskeln ab. Dadurch schmerzen öfter mal die Gelenke, man bleibt lieber auf dem Sofa und baut noch mehr Muskeln ab, ein Teufelskreis. Und das kann schließlich zu Osteopenie führen.

Was ist Osteopenie?

Eine Vorstufe der Osteoporose, die fünfmal so viele Frauen wie Männer betrifft. In Deutschland ist Osteoporose, bei der die Knochen porös werden, weit verbreitet. Im Schnitt brechen sich etwa 50 Prozent der Frauen über 50 irgendwann im Leben einen Knochen, weil sie Osteoporose haben.


Und wenn ich lieber laufen gehe?

Wenn wir Frauen auch im Alter unsere Unabhängigkeit behalten wollen, müssen wir mehr tun. Zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr verlieren Frauen 30 Prozent ihrer Muskelkraft. Es gibt eine erschreckende Studie aus 1981, die untersucht hat, wie stark Frauen wirklich sind, „The Framingham Disability Study“. Es wurde festgestellt, dass 40 Prozent zwischen 55 und 64 Jahren keine 4,5 Kilo heben konnten. Und wie oft sagen ältere Frauen: „Da setze ich mich nicht hin, sonst komme ich nicht mehr hoch.“ Andere Studien untersuchten, wie sich Ausdauertraining, wie Joggen, Schwimmen, Walken, Radfahren, auf die Muskeln auswirkt. Zum ersten ist es essentiell für ein starkes Herzkreislaufsystem, denn durch das sinkende Östrogen in den Wechseljahren leidet ja auch unsere Arterienelastizität, das Kreislaufsystem ist stärker belastet und muss trainiert werden. Zum zweiten aber kam heraus, dass über 40-jährige Frauen, selbst wenn sie regelmäßig Ausdauertraining machen, keinen signifikanten Zuwachs an Muskelmasse erreichten, selbst Triathletinnen nicht. Das heißt, Kraftsport ist keine Möglichkeit unter vielen, sondern Pflicht spätestens ab den 40ern, denn dann wird durch das sinkende Östrogen ein Turbo beim Muskelabbau eingelegt. Mich macht es immer ganz verrückt, wenn ich höre: „Ich mache ja so ein bisschen Yoga und ich gehe joggen“. Nein! Das reicht leider nicht.

Peggy Reichelt, Gründerin von XbyX (Foto: Privat)

Was würde reichen?

Wir brauchen zwei bis drei mal pro Woche Kraftsport. Das muss gar nicht mit Gewichten sein, und es muss auch kein Krafttraining im Fitnessstudio sein. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht sind bereits sehr effektiv, oder mit Widerstandsbändern. Wie in unserem Kraftzeit-Sport-Programm. Wer noch Extramotivation benötigt: Kraftsport wirkt nachweislich positiv auf Stimmung, Selbstwertgefühl und gegen Bauchspeck, sogar gegen das ungesunde viszerale innere Fett.

Kann man mit über 50 noch damit anfangen?

Das ist das wirklich Coole. Da ist unser Körper genial. Egal ob wir die Ernährung umstellen oder mehr Sport machen, Umstellungen greifen immer. Ich folge auf Instagram zwei älteren Frauen in ihren 80ern, Joan MacDonald und Erika Rischko, beide haben relativ spät mit Kraftsport angefangen. Es ist bewundernswert, welche großartige Transformation sie durchliefen. Sie beweisen, die Muskulatur reagiert relativ schnell auch im Alter. Als wir mit unserem Kraftzeit-Programm angefangen haben, sagten sehr viele Frauen: Ich habe Gelenkprobleme. Das ist ein Riesenthema in den Wechseljahren, durch das sinkende Östrogen werden die Gelenke nicht mehr so geschmiert und viele Frauen bewegen sich wegen der Schmerzen immer weniger. Wir empfehlen, leicht anzufangen, soweit es die Gelenke zulassen, die müssen erst wieder flexibel werden und ihren Bewegungsradius ausbauen. Selbst wenn das zuerst nur regelmäßig ein paar Kniebeugen oder Planks sind, es wird Kraft aufgebaut und innerhalb von vier, fünf Wochen sieht man schon Veränderungen. Und später kann man dann mit Hanteln, Kettlebells oder Medizinbällen trainieren – wenn man will.

„Wenn wir Frauen auch im Alter unsere Unabhängigkeit behalten wollen, müssen wir mehr tun. Zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr verlieren Frauen 30 Prozent ihrer Muskelkraft.“

Peggy Reichelt