Miriam Stein: „In der Lebensmitte werden Frauen selbstbestimmter“

Ein Interview von Eva Meschede

Probiers mal mit Bestimmtheit (Foto: Fredrik Altinell)

Mit Anfang 40 wurde Journalistin Miriam Stein eiskalt von der Perimenopause erwischt. In ihrem Bestseller „Die gereizte Frau – Was unsere Gesellschaft mit meinen Wechseljahren zu tun hat“ deckt sie Mythen, Fehlinformationen und Missstände auf

MAISON MADAME: Sie schreiben in Ihrem Buch ziemlich explizit über Blutungen und Hautprobleme. Sie wollten sich nichts ersparen, oder?

Miriam Stein: Ich bin überzeugt, es geht nur so. Dass ich dieses Buchprojekt unbedingt machen wollte, lag daran, dass ich mich in der klassischen Ratgeberliteratur nicht ganz wiedergefunden habe. Ich finde sie wichtig, vor allem „Woman on Fire“ von Sheila de Liz. Ich selbst wollte aber über das einfühlsame „Ich nehme dich an die Hand. Du musst gar keine Angst haben“-Gefühl hinaus – in gesellschaftliche Zusammenhänge. Laut einer Studie werden 2025 eine Milliarde Frauen weltweit in den Wechseljahren sein, da braucht das Thema Klimakterium eine neue Ansprache. Es geht um Befreiung.

Um Befreiung?

Wenn ich Tabus brechen will, dann muss ich bei mir selbst anfangen und sagen, wie es wirklich ist. Ich wusste vorher zum Beispiel nicht, dass Frauen in der Perimenopause häufig stärkere Perioden bekommen – und ich hatte mich für gut informiert gehalten. Nachdem das Buch draußen war, bekam ich sehr viel Post. Eine Frau schrieb, ihre Tage dauerten drei Wochen. Eine andere, sie hätte auch diese Blutklumpen groß wie eine Plazenta. Eine berichtete, ihre Zyklen wären auf zwölf Tage verkürzt. Früher dachte ich immer, in den Wechseljahren kriegst du Hitzewallungen, dann hört es auf zu bluten, man ist alt, aber hat dieses leidige Problem mit den mit der Menstruation nicht mehr. Die ganzen Malaisen, die diese Phase mit sich bringt, waren mir nicht klar. Deshalb beschloss ich, radikal ehrlich zu erzählen. Dadurch weiß mittlerweile von vier Freundinnen, die im mittleren Alter Rosazea bekommen haben. Das zu beschreiben, ist vielleicht ekelig im ersten Moment, aber nur so bricht man dieses Schweigen. Und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass Frauen sich nicht in sich zurückziehen und sich schämen. Ich bhabe eine genetische Lebenserwartung von mehr als 90 Jahren. Was sollte ich denn ab der Perimenopause machen? Mich 40 Jahre lang alt und trocken fühlen?

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Beim Schreiben meiner eigenen Beschwerden fürchte ich die Außenwelt“, dass Sie als „alte Schachteln mit ausgetrockneten Eierstöcken“ gesehen werden. Wie waren denn die Reaktionen?

Es ist ja nicht mein erstes Buch, und ich bin bei jedem kurz vor Erscheinen ziemlich nervös und verunsichert. Ich frage mich, wie wird es aufgenommen, wird es beachtet? Bei diesem Buch war es tatsächlich leichter, denn das Interesse war schon vor der Veröffentlichung groß, ich hatte einen Nerv getroffen und das war beruhigend. Es fühlte sich an wie ein warmes Bad und es gab schnell viel positives Feedback schon auf die Fahnen. Ich hatte sehr gute Presse, die Außenwelt war freundlich.

Journalistin und Autorin Miriam Stein (Foto: Jens Gyarmaty)

Was haben denn Familie und Freunde dazu gesagt?

Mein Mann hat mich von Anfang an sehr unterstützt. Die meisten meiner Freundinnen reagierten aber erst mal mit Schweigen und großen Augen. Doch je länger ich schrieb und je mehr ich recherchierte, desto mehr kamen hinterm Ofen vor: Ich habe auch das Problem, weißt du etwas darüber? Schließlich wurde schon beim Schreiben die Unterstützung immer stärker. Und das hat mir geholfen, ich dachte: Okay, du kannst damit an die Öffentlichkeit. Und wenn ich dann die bin, die in der Welt für die Menopause steht, finde ich das gut. Für mich ist das nach der Menstruation das nächste große feministische Thema.

Was ist gut an der Lebensmitte?

Frauen werden selbstbestimmter. Das hat auch körperliche Ursachen, wenn das Östrogen weniger wird, ist manchmal das Testosteron anteilig höher. Östrogen ist das Kümmer-Hormon. Mit ihm schwindet dieses Gefühl, es allen recht machen zu müssen. Fürsorge steht nicht mehr an erster Stelle. Frauen fällt es durch die veränderte Biochemie ab der Lebensmitte leichter, sich selbst höhere Priorität einzuräumen und klare Entscheidungen auch für andere zu treffen, ob im Job oder in der Familie. Und das ist toll und perfekt für Führungspositionen. Es entspricht allerdings nicht dem weiblichen Klischee. Deshalb auch die vielen Schimpfworte, wie Spinatwachtel und Schabracke. Ich selbst bin heute viel selbstbewusster, ich weiß, was ich kann und wer ich bin: eine gute Journalistin und jetzt auch Bestsellerautorin. Was die anderen denken, ist mir zunehmend egal. Ich muss mich nicht mehr verstecken, zeige mich zum Beispiel ungeschminkt auf Instagram – auch mit der Rosazea. Das hätte ich früher nie getan.