Hormontherapie oder nicht?

Ein Interview von Eva Meschede

Dem Horizont so nah (Foto: Adriano Russo)

Die Beschwerden in den Wechseljahren treffen Frauen unterschiedlich stark. Wann eine Hormontherapie sinnvoll ist – und was andere Mittel können

Die meisten Frauen kommen mit leichten Beschwerden durch die Wechseljahre. Einigen machen allerdings Hitzewellen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, schlechte Konzentrationsfähigkeit und urogenitale Beschwerden wie Scheidentrockenheit und Inkontinenz schwer zu schaffen. Wir haben die Gynäkologin Christina Enzmann gefragt, wann eine Hormontherapie angezeigt ist und welche Alternativen es gibt.

MAISON MADAME: Eine Hormonersatztherapie wird von vielen Frauen wegen der Nebenwirkungen gefürchtet. Für wen ist sie denn zu empfehlen?

Dr. Christina Enzmann: Für Frauen, die so starke Beschwerden haben, dass sie im täglichen Leben beeinträchtigt sind. Nur leichte Hitzewallungen würde ich nicht als Grund sehen, Hormone zu nehmen. Das kann man zum Beispiel mit leichter Kleidung ausgleichen. Die Wechseljahre sind ja an sich keine Krankheit, sondern ein neuer Lebensabschnitt, in dem die Frauen ein Drittel bis die Hälfte ihres Lebens verbringen. Aber bei Frauen, die sehr leiden, die sagen, ich kann vor Hitze nicht schlafen und mich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren, sollte man darüber nachdenken. Wir wissen, dass bei einer Hormontherapie für die meisten Frauen am Beginn der Wechseljahre der Benefit höher ist als das Risiko, wenn sie keine Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Brustkrebs mitbringen.

Müssen Frauen sich wegen Brustkrebs sorgen?

Bei der Hormonersatztherapie werden die Hormone, die die Eierstöcke aufgrund des Alterungsprozes- ses nicht mehr ausreichend herstellen, künstlich durch Medikamente angeglichen. Normalerweise ist das immer eine Kombination aus den beiden Hormonen Östrogen und Progesteron. Die Angst vor der Hormontherapie entstand in den 90er-Jahren durch die bekannte amerikanische „Woman’s Health Initiative Study“. Man wollte beweisen, dass Östrogene bei Frauen Herzerkrankungen vorbeugen können. In dieser Studie wurde das seit vielen Jahrzehnten aus Stutenurin gewonnene Östrogen Premarin verwendet. Als Progesteron wurde das synthetisch hergestellte Medroxyprogesteron benutzt. Leider zeigte sich in sehr kurzer Studienzeit, dass die Kombination ein erhöhtes Risiko für Thrombosen und Brustkrebs mit sich brachte. Plötzlich hieß es: Hormone sind gefährlich. Diese Studie hat alles verändert.

Gibt es heute neue, weniger problematische Hormone?

Premarin wird nur noch selten gegeben. Mittler- weile gibt es das im Labor gebaute, bioidentische Estradiol und das bioidentische Progesteron. Beides kann man als Tablette einnehmen, aber wie viele Ärzte ziehe ich vor, Estradiol transdermal als Pflaster, Spray oder Gel zum Auftragen auf die Haut zu verschreiben. So wird auch der „First-Pass-Effekt“ in der Leber vermieden. Wenn man nämlich das künstliche Hormon einnimmt, muss es in der Leber metabolisiert werden. Da die Leber dabei Blutgerinnungsfaktoren bildet, steigt das Risiko für Thrombosen. Zudem kommt nicht genug Östrogen in den Organen an, Frauen haben weiter Beschwerden. Die Hormone helfen transdermal also sogar besser gegen Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Konzentrationsstörungen. Das Progesteron wird leider nicht gut über die Haut aufgenommen, ist aber nötig, weshalb ich es als Kapsel verschreibe.

Was hilft gegen urogenitale Beschwerden wie Scheidentrockenheit und Harndrang?

Hier ist eine Hormonersatztherapie nicht sinnvoll, denn Vaginalcremes und Zäpfchen wirken sehr gut. Das enthaltene Östrogen kann die Symptome sogar vollständig beseitigen, es wird vom Körper kaum absorbiert und hat kaum Nebenwirkungen.

Was halten Sie von pflanzlichen Mitteln?

Es gibt nichts, was in offiziellen Studien standgehalten hätte und zertifiziert worden wäre. Gegen Hitzewallungen kann aber Mönchspfeffer helfen. Gegen Schlafstörungen kann Ashwagandha, aus der Wurzel der Winterkirsche, wirken, es hat einen beruhigenden Effekt, der sogar vergleichbar mit dem Beruhigungsmittel Lorazepam sein soll. Es gibt aber nicht nur pflanzliche Alternativen zu Hormonen, sondern auch alternative Medikamente, etwa aus dem Bereich der Antidepressiva oder das Anti-Epileptikum Gabapentin für Frauen, die wegen der Hitze nicht schlafen können.

Was ist mit den viel beschworenen Sojaprodukten?

Die wurden in den USA hoffnungsvoll getestet, mit dem Ergebnis, dass sie bei nordamerikanischen und europäischen Frauen der Prüfung nicht standhielten. Man nimmt an, dass asiatische Frauen Enzyme haben, um das Soja-Östrogen zu verstoffwechseln, und die meisten Frauen europäischer Abstammung nicht. Jetzt gab es allerdings eine Studie, die zeigte, dass Frauen, die auf eine vegetarische Ernährung kombiniert mit Soja umstiegen, eine Verbesserung spürten. Das gab den Vertretern der „Sojabohnen-Hypothese“ wieder Aufwind. Ich glaube nicht, dass die Sojabohnen die Hauptrolle spielten, sondern die Umstellung auf eine Ernährung, die mindestens zu 80 Prozent pflanzen basiert ist, mit viel grünem Gemüse, Nüssen und Samen, wenig Getreide, tierischen Produkten nur aus ökologischem Anbau, um Fremdhormone and andere Zusatzstoffe zu vermeiden. Und absolut kein Zucker. Der Verzicht auf Kohlehydrate vermeidet hohe Blutzucker- und Insulinspiegel, die wahrscheinlich zu den Hitzewallungen beitragen.

Was ist Ihnen in den Wechseljahren am wichtigsten?

Die Ernährung umstellen, Kaffee reduzieren, auf genügend Schlaf achten und Wege finden, Stress zu mindern. Das kann Beschwerden erstaunlich verbessern. Ich mache Patientinnen auch Mut mit einer US-Umfrage, bei der Frauen in den Wechseljahren befragt wurden: 70 Prozent sagten, dass sie glücklicher und zufriedener sind als in ihren 20er- und 30er-Jahren.