„Frauengesundheit muss endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient“

Ein Interview von Nicole Lauscher

Dr. Judith Bildau ist Gynäkologin und Wechseljahrsberaterin (Foto: Sabine Radtke)

Der Mann als Norm? In der Medizin war er das lange genug. Die Gynäkologin, Medical Influencerin und Autorin Dr. Judith Bildau kämpft für die Gesundheit von Frauen und ihre Gleichberechtigung in der Medizin

MAISON MADAME: Liebe Frau Bildau, Ihr Herzensthema ist die Frauengesundheit, Ihr Ziel die Gleichberechtigung in der Medizin. Wo stehen wir hier?

Dr. Judith Bildau: Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Frauengesundheit erhält längst nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Frauen werden bei gesundheitlichen Themen nicht nur vernachlässigt, sie wurden und werden sogar erheblichen Gefahren ausgesetzt. Und das ist eigentlich mit nichts zu entschuldigen.

Was meinen Sie damit?

Erst seit Januar 2022 gibt es ein EU-Gleichstellungsgesetz in der Pharmakologischen Forschung. Bis vor Kurzem waren Frauen also in der Arzneimittelforschung unterrepräsentiert. Das heißt, Frauen bekommen aktuell zugelassene Medikamente in derselben Dosierung wie Männer, obwohl ihr Körper zum Teil ganz anders arbeitet – der Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System, die Fett- und Muskelmasse, der Hormonhaushalt. Das bedeutet, dass die Wirkungsweise von Medikamenten eine andere sein kann. Es können andere Wechselwirkungen auftreten und die Wirkungsdauer kann deutlich länger sein als bei Männern.

Und das kann gefährlich werden.

Genau. Nehmen wir das Beispiel Schlafmittel. Sowohl in den USA als auch in Europa wurde ein bestimmtes Präparat über Jahrzehnte in der gleichen Dosierung für Männer und Frauen ausgegeben. Bis man gemerkt hat, dass Frauen am nächsten Morgen deutlich häufiger Autounfälle verursachten – wegen Schläfrigkeit. Im weiblichen Organismus wirkt dieses Schlafmittel eben deutlich länger als bei Männern.

Was war die Konsequenz?

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA reagierte darauf und setze die Dosierung für Frauen auf die Hälfte herunter. In europäischen Beipackzetteln steht nach wie vor dieselbe Dosierungsempfehlung für beide Geschlechter. Das ist nur ein Beispiel – die Liste ist jedoch lang.

­Es gibt aber doch auch gute Neuigkeiten. Zum Beispiel will Deutschland 2023 fünf Millionen Euro in die Endometrioseforschung investieren.

Ja, und natürlich freue ich mich über diese positive Entwicklung. Schließlich ist Endometriose eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. In der Vergangenheit hat es im Schnitt sieben bis zehn Jahre gedauert, bis Betroffene überhaupt die Diagnose bekommen haben. Während dieser Zeit hatten sie solche Schmerzen, dass sie mindestens einmal im Monat krankheitsbedingt ausgefallen sind. Allerdings sind auch fünf Millionen nicht wirklich viel: Frankreich investiert beispielsweise 25 Millionen in die Erforschung der Krankheit.

Aber wie kommt es, dass Deutschland in Sachen Frauengesundheit so hinterherhinkt?

Ich kann Ihnen eine Antwort geben – muss sie aber warnen: Sie ist nicht zufriedenstellend. Erst 1899 wurden Frauen zum Medizinstudium zugelassen. Die Medizin war also Jahrhundertelang männerdominiert. Und in vielen Teilen ist sie es noch heute: Zwar sind inzwischen zwei Drittel der Studierenden weiblich, von den Chefarztposten sind aber nur 13 Prozent mit Frauen besetzt. Und es sind die hohen Positionen, die über Forschungsprojekte und Lehre entscheiden.

Männer interessieren sich eben mehr für Männer?

Sie haben sich jedenfalls selbst jahrhundertelang als Norm gesehen.

Und Männer haben keine Wechseljahre. Die Menopause ist auch ein Thema, das noch immer nicht ausreichend erforscht ist.

Hier ist noch immer viel Aufklärung nötig – bei den Frauen und tatsächlich auch bei den Hausärzt:innen und Gynäkolog:innen. Es gibt nach wie vor viele Frauen, die mit Mitte 40 wegen Beschwerden zum Arzt oder zur Ärztin gehen, und denen einfach nicht richtig geholfen wird: Sie bekommen Antidepressiva gegen ihre Stimmungsschwankungen, Schlafmittel, damit sie nachts wieder schlafen können oder sie werden auf rheumatische Erkrankungen untersucht, weil sie über Muskel- und Knochenschmerzen klagen.

Dabei stecken in Wahrheit die Hormone dahinter?

Ganz genau. Hormonschwankungen oder der plötzliche Hormonabfall verursachen diese Symptome. Aber oft ziehen weder die Frauen noch die Ärtz:innen dies in Betracht, weil beide davon ausgehen, dass es für die Wechseljahre noch viel zu früh ist. Dabei beginnt die Perimenopause bereits mit Mitte 40. Die ersten hormonellen Veränderungen kündigen sich sogar schon mit Anfang 40 an. Frauen, die sehr sensibel sind oder ein sehr intensives Körpergefühl haben, bemerken diese ersten Veränderungen.

Das kann sehr belastend sein und wirkt sich auch auf andere Bereiche des Lebens aus. Den Job zum Beispiel ...

Genau. Einige Firmen – vor allem große Konzerne – laden darum inzwischen Frauenärzt:innen wie mich als Wechseljahrsberater:innen ein. Sie haben verstanden, dass Frauen zwischen Anfang 40 und Mitte 60 enormes Potential haben: Sie sind sehr stark, sie wissen was sie wollen, sie haben Lebens- und Berufserfahrung. Und deswegen investieren die Firmen in die Gesundheit dieser Frauen.Was machen Sie als Wechseljahresberaterin genau?

Ich schule die Frauen zum Beispiel darin, sich Unterstützung zu holen. Ich bestärke sie darin, etwas zu unternehmen, um zu ihrer Kraft zurückzufinden: Das kann eine generelle Gesundheitsförderung sein, eine hormonelle Therapie, eine Veränderung des Mindsets, Yogasessions. Vielleicht auch eine Ernährungsberatung, weil der Stoffwechsel langsamer wird, die Frauen an Gewicht zunehmen und sich unbeweglicher, schlapper und ungesünder fühlen. Das kann so viel sein. Es ist so wichtig, genau in diese tollen Frauen zu investieren. Sie wollen arbeiten. Und sie sind für die Wirtschaft wahnsinnig spannend und interessant.

Studien zeigen, dass viele Frauen aber genau in dieser Phase ihre Arbeitszeit reduzieren oder einen einfacheren Job wählen, weil sie sich mit der Situation überfordert fühlen.

Das ist doch furchtbar! Eine Weltwirtschaft und eine Gesellschaft funktionieren nicht ohne diese Frauen – das müssen wir einfach erkennen. Die Frauen verdienen es. Niemand muss unter Wechseljahresbeschwerden leiden. Frauen müssen nur wissen, wo sie Hilfe bekommen.

„Die ersten hormonellen Veränderungen kündigen sich sogar schon mit Anfang 40 an. Frauen, die sehr sensibel sind oder ein sehr intensives Körpergefühl haben, bemerken diese ersten Veränderungen“

Dr. Judith Bildau