Ernährung in den Wechseljahren: Warum Sie jetzt auf den Blutzuckerspiegel achten sollten

Ein Interview von Nicola Vidic

Der Zusammenhang zwischen Hormonen und unserem Blutzuckerspiegel spielt vor allem während der Wechseljahre eine entscheidende Rolle. (Foto: Benjamin Kaufmann)

In der Zeit vor den Wechseljahren spielen die Hormone verrückt, vor allem Östrogen wird immer weniger produziert, und das hat erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Hitzewallungen, schlechter Schlaf, Antriebslosigkeit und Gewichtszunahme sind nur einige der möglichen Folgen.

Dr. Anne Latz, Neurowissenschaftlerin, Ernährungsmedizinerin und Gründerin von Hello Inside, erklärt im Interview, wie Blutzucker und Hormone zusammenhängen, und wie man mit einer blutzuckerbewussten Ernährung für mehr Wohlbefinden sorgen kann.

Maison MADAME: Wirkt sich der sinkende Östrogenspiegel auf das Essverhalten aus? Hat man dann mehr Hunger?

Dr. Anne Latz: Östrogen ist ein wichtiger Player, der für eine sogenannte Insulinsensitivität sorgt. Und Insulin brauchen wir, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Normalerweise läuft das so ab: Man nimmt Glukose zu sich und das Insulin senkt den Blutzuckerspiegel wieder. Wenn aber das Östrogen fehlt, funktioniert das nicht mehr so gut und es kann zu einer Insulinresistenz kommen. Und wenn das Insulin nicht mehr so gut arbeitet, kommt es häufiger zu Blutzuckerspitzen, das heißt, der Blutzucker steigt schnell und hoch an und fällt dann genauso schnell wieder steil ab, manchmal bis in die Unterzuckerung. Und genau das ist es, was wir oft als Heißhunger wahrnehmen. Diesen Zusammenhang zwischen Östrogen und Insulin sieht man zum Beispiel auch im Zyklusverlauf, deshalb kennt wahrscheinlich jede hormonbedingte Heißhungerattacken.

Ist das der Grund, warum man in den Wechseljahren leichter zunimmt?

Wir haben dann oft einen Überschuss an Glukose, und was nicht in den Muskeln oder in der Leber gespeichert oder verbraucht wird, wird in Fett umgewandelt. Bei fast der Hälfte aller Frauen in dieser Lebensphase vor allem im Bauchbereich, auch wenn noch nicht ganz klar ist, warum das genau dort passiert. Aber auch andere typische Auswirkungen der Wechseljahre, wie Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit treten auf, wenn der Blutzuckerspiegel stark schwankt. Und deshalb kann man diese Symptome durch einen stabilen Blutzucker positiv beeinflussen.

Hormonbedingte Heißhungerattacken sind während der Wechseljahre keine Seltenheit. (Foto: Benjamin Kaufmann)

Kann man also mit Hilfe der Ernährung Wechseljahresbeschwerden lindern?

Es wäre zu weit gegriffen, zu sagen, wenn man sich blutzuckerfreundlich ernährt, verschwinden alle Probleme, aber man kann schon eingreifen. Man weiß zum Beispiel, dass der Eiweißbedarf steigt, und eine proteinreiche Ernährung ist blutzuckerfreundlich. Es geht auch viel um Selbstwirksamkeit. Was kann ich tun, was kann ich ändern? Spannend finde ich, wie Psyche und Stoffwechsel zusammenhängen. Als Frau merkt man in dieser Schwellensituation, dass sich etwas verändert. „Ich kann bestimmte Dinge nicht mehr so gut essen wie früher, was passiert mit meinem Bauch?“ Dieser Kontrollverlust führt zu extremem Stress, Stress produziert Cortisol und Cortisol führt wieder zu Blutzuckerspitzen und damit zu Heißhungerattacken, ein Teufelskreis.

Was kann man tun, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Ein Regime mit regelmäßigen blutzuckerfreundlichen Mahlzeiten kann für viele ein echter Game Changer sein. Dabei geht es nicht um Verbote, sondern darum, auf ballaststoffreiche, möglichst bunte und abwechslungsreiche Mahlzeiten zu achten, die Antioxidantien für den Zellschutz und viel pflanzliches Eiweiß enthalten. Lebensmittel wie Tempeh oder Tofu sind Proteinquellen, enthalten aber auch sogenannte Phytoöstrogene, also pflanzliche Östrogene. Auch vor gesunden Fetten wie Nüssen, Avocado oder Olivenöl braucht man keine Angst zu haben. Wenn man einen Plan hat und das Gefühl, etwas verändern zu können, baut das auch Stress ab. Doch Ernährung ist nicht alles. Ernährung, Bewegung, Stress und Schlaf verstärken sich gegenseitig.

Intervallfasten und Dinnercancelling sind derzeit in aller Munde. Wie passt das mit einem konstanten Blutzuckerspiegel zusammen? Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch zu sein.

Ist es aber nicht. Intervallfasten ist schon eine Belastung für den Körper, aber man muss einfach ausprobieren, wie es für einen funktioniert. Denn es ist viel einfacher, klare Regeln zu haben. Wenn ich nicht frühstücke, muss ich nicht darüber nachdenken. Aber auch, wenn ich erst um elf oder zwölf Uhr die erste Mahlzeit zu mir nehme, ist wichtig, wie ich das Fasten breche, damit die Energie nicht gleich wieder sinkt. Dazu sollte man darauf achten, viele Ballaststoffe zu sich zu nehmen und zusammen mit den Kohlenhydraten auch Eiweiß und Fett zu essen. Ein Smoothie oder zu viel Kaffee mit Hafermilch führen auf nüchternen Magen zu einem Blutzucker-Spike mit schnell folgendem Crash.

Also lieber keinen Kaffee am Morgen?

Wer ihn nur mit Hafermilch mag, sollte ihn zumindest nicht auf nüchternen Magen trinken, bessere Alternativen sind Nuss-, Kokos- oder Erbsenmilch.

Kann die Ernährung auch Stimmungsschwankungen und Brain Fog lindern?

Es gibt einige Glukose-Hacks, die bei diesen Symptomen gut funktionieren. Aber was genau hilft, ist sehr unterschiedlich und von Frau zu Frau sehr subjektiv. Ich würde nie behaupten, dass man die Beschwerden komplett wegmanagen kann, dazu passiert zu viel im Körper. Die Psyche spielt dabei eine große Rolle. Man fängt an zu schwitzen und fühlt sich dadurch gleich noch unwohler. Auch Brain Fog, das ist ja so ein trendy Begriff seit Corona, hat wie Energiemangel und Konzentrationsstörungen Wechselwirkungen mit dem, was man isst. Das kennt man von dem Tief, manchmal nach dem Mittagessen. Dagegen hilft ein kleiner Spaziergang, der ist auch gut für die Stimmung. Und Süßes direkt nach dem Essen ist ok, aber nicht als Snack zwischendurch, allein das macht schon einen Unterschied.

Oft verschließen wir die Augen davor, wie bereits kleine Änderungen unserer Gewohnheiten positive Auswirkungen auf unser Wohlbefinden haben können. (Foto: Benjamin Kaufmann)

Es spielt also eine Rolle, in welcher Reihenfolge man isst?

Das kann man sich so vorstellen, als würde man etwas in ein Waschbecken schütten. Startet man mit der Pasta, läuft die ungehindert durch, im Körper in den Magen-Darm-Trakt, dann ins Blut und in die Zellen. Der Organismus hat nicht viel Arbeit damit, viel Energie ist auf einmal da. Isst man vorher einen grünen Salat, Gemüse oder etwas anderes Ballaststoffreiches, dann ist das wie ein Netz im Abfluss, beziehungsweise Magen-Darm-Trakt, das bewirkt, dass der Blutzucker langsamer ansteigt und auch nicht so schnell wieder abfällt. Man kann gut schon beim Kochen ein bisschen Gemüse snacken – Chicorée eignet sich dafür am besten, ich kenne Leute, die nehmen den sogar mit auf Reisen. Danach sind die Fette und Proteine dran, dann die Kohlenhydrate und zuletzt das Dessert. In der Kombination kann der Körper viel besser damit umgehen.

Gibt es noch weitere Tipps, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten?

Früchte immer im Ganzen essen, mit ihren Ballaststoffen und nicht als Saft. Und 20 Minuten vor dem Essen ein bis zwei Esslöffel Apfelessig in einem Glas Wasser zu trinken hilft auch vielen Menschen, die Blutzucker-Reaktion stabil zu halten.

Und wie wirkt sich das alles auf das Gewicht aus?

Es gibt keine Garantie, dass man dadurch komplett abnimmt. Aber es geht ja auch darum, wie man sich fühlt. Und es ist wichtig Sport, vor allem Krafttraining, zu machen, denn man kann natürlich Proteine essen, aber wenn die Muskeln sie nicht vermehrt brauchen, nützt es nichts. Um abzunehmen, muss man diszipliniert sein und sich umstellen. Aber fest steht: Isst man blutzuckerfreundlich, dann hat man nicht mehr so viel Hunger zwischendurch, isst nicht mehr so viele kleine Mahlzeiten. Das ist ein wichtiges Werkzeug, um mit mehr Energie durch den Tag zu kommen und sich nicht immer groggy zu fühlen. Ich glaube, das Schlimmste, was man machen kann, ist, den Körper so unter Stress zu setzen, weil man ständig Heißhunger hat und die Gedanken ums Essen kreisen.

Dr. Anne Latz ist Ärztin mit einem Master of Scienes in Betriebswirtschaftslehre und einem Doktortitel in Neurowissenschaften. Zudem ist sie Mitgründerin der Gesundheits-Plattform "Hello Inside".