„Die Risiken einer Hormontherapie sind sehr niedrig"

Ein Interview von Eva Meschede

Wenn aus Beschwerden Gewohnheiten werden. Eine Scheinwelt? (Foto: Stefan Milev)

Dr. Sheila de Liz praktiziert als Gynäkologin in Wiesbaden, ist Bestseller-Autorin und befürwortet die Hormonersatztherapie. In ihrem Buch „Women on fire“ setzt sie sich für einen offenen, zeitgemäßen Umgang mit dem Thema Wechseljahre ein

MAISON MADAME: Frau Dr. de Liz, viele Frauen haben immer noch Angst vor einer Hormonersatztherapie. Ist die Sorge unbegründet?

Dr. Sheila de Liz: Die Angst entstand durch eine alte Studie, die vor mehr als 20 Jahren veröffentlicht wurde. Danach bekamen Frauen öfter Brustkrebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle, wenn sie die Hormontabletten einnahmen. Das hat leider den Ruf des Hormonersatzes nachhaltig weltweit verdorben. Und führte dazu, dass Frauen sogar ihre eigenen Hormone fürchten. Diese Studie wird heute von vielen kritisiert. Etwa weil sie mit älteren Frauen, die um die 60 Jahre alt waren, gemacht wurde. Das ist nicht das Alter, in dem man eine Hormonersatztherapie anfangen sollte. Und das Wichtigste: Man hat damals andere Präparate benutzt als heute. Einen Hormonmix, der viel zu hoch dosiert war. Das Östrogen wurde aus Pferde-Urin gewonnen. Heute wird es körperidentisch im Labor nachgebaut. Das wirkt wie unsere natürlichen Hormone im Körper auch. Diese Medikamente haben ein sehr hohes Sicherheitsprofil. Die Risiken sind niedrig. Heute weiß man, dass die Hormonersatztherapie sogar vielen Krankheiten vorbeugt: Depressionen, Gelenkschmerzen, Nierensagen, Herzproblemen, Schlaganfällen, Demenz, Osteoporose.

Würden Sie jeder Frau eine Hormonersatztherapie empfehlen?

Es gibt wenige, bei denen ich das nicht tun würde. Die meisten Frauen profitieren in irgendeiner Form davon, auch Frauen, die sagen: Ich habe keine Beschwerden. Wenn ich nachfrage, stellt sich oft heraus, dass das nicht stimmt. Die meisten haben mehr Beschwerden, als sie eigentlich wissen. Sie schlafen schlecht und denken, das ist der Stress. Sie nehmen es hin, dass sie keine Lust auf Sex haben. Die meisten Ärzte raten ja nur bei deutlichen Beschwerden zur Hormonersatztherapie. Das habe ich früher auch so gesehen. Doch jetzt bin ich selbst in dem Alter und beschäftige mich intensiver mit dem Thema. Ich empfehle immer, eine Checkliste mit möglichen Beschwerden durchzugehen: Habe ich das, habe ich das nicht? Man kann es mit der Hormonersatztherapie auch probieren und wieder aufhören, wenn man sich unwohl fühlt. Es ist immer eine individuelle Entscheidung.

Wie sollte man die Hormone einnehmen?

Generell ist man weggekommen von der Tablette, in der alles drin ist. Man gibt die Hormone einzeln in bioidentischer Form. Östrogen und Testosteron werden als Gel auf die Haut aufgetragen, Progesteron als Kapseln eingenommen.

Und wie lange nimmt man die Medikamente?

Die können Sie nehmen, bis sie 144 Jahre alt sind. Man bleibt gesünder. Die Queen nimmt wahrscheinlich auch Hormone, deshalb ist sie auch immer noch leistungsfähig und kann die vielen Termine bewältigen. Es geht nicht darum, dass man für immer jung bleibt. Aber ich möchte mich doch nicht alt, kaputt und leidgeplagt fühlen.

Die Beipackzettel von Hormon-Präparaten nehmen einem ja auch nicht gerade die Angst.

Das ist fürchterlich. Man hat quasi die Texte der Beipackzettel von den alten Pferde-Hormontabletten übernommen. Hier werden verunsicherte Frauen noch weiter verunsichert. Dabei sind die Salben und Gels etwas völlig anderes. Diese Beipackzettel werden von Juristen geschrieben, und die haben erst mal den Auftrag, vor allem die finanziellen Interessen der Pharmaunternehmen zu schützen. Deshalb stehen da Nebenwirkungen drin, die noch nie vorgekommen sind, die eventuell eintreten könnten. Die Beipackzettel werden alle drei bis vier Jahre überarbeitet. Aber selten wird etwas entschärft, es wird eher noch strenger formuliert. Schmeißen Sie sie weg, oder wenn Sie ein wackeliges Tischbein haben, legen Sie den Zettel da unter, dann hat er noch einen Nutzen.

„Es geht nicht darum, dass man für immer jung bleibt. Aber ich möchte mich doch nicht alt, kaputt und leidgeplagt fühlen.“

Dr. Sheila de Liz

"Women on Fire", von Sheila de Liz