Schnell schlank per Spritze?

Ein Artikel von Lena Raab

Rank und Schlank um jeden Preis (Foto: Schöttgers)

Der Hype ums Abnehmen mit Ozempic – und ein erschreckender Erfahrungsbericht

Ein Pikser, und schon schwinden die Kilos – Generationen von Frauen träumen von so einem Fett-weg-Wundermittel. Mit dem Diabetes-Medikament Ozempic scheint es jetzt Realität geworden zu sein. Eben nicht, widerspricht Dr. Lisa Kühne-Eversmann, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie vom Hormon- und Stoffwechselzentrum München: „Langfristigen Erfolg hat man mit dem Medikament nur in Kombination mit ausgewogener Ernährung und ausreichend Bewegung.“

Pure Appetitlosigkeit ist das Geheimnis 

Was genau steckt hinter Ozempic? Kurz gesagt ist es ein Insulinregulator für Menschen mit Diabetes Typ  2. Das einmal wöchentlich zu injizierende Medikament enthält den Wirkstoff Semaglutid. Dieser wirke ähnlich wie das Darmhormon GLP-1, das den Zuckerstoffwechsel beeinflusst, aber eben auch die Magenentleerung und das Sättigungsgefühl, erklärt die Ärztin. Der fehlende Hunger macht einen schnellen Gewichtsverlust scheinbar ganz einfach – der Grund für den aktuellen Hype um das Medikament.

Für die einen ein Lifestyle-Produkt, für andere ein lebensnotwendiges Medikament

Herumgesprochen hat sich die willkommene Nebenwirkung zuerst in Hollywood. Moderator Jimmy Kimmel scherzte bei der diesjährigen Oscar-Verleihung in L. A.: „Wenn ich mich hier so umschaue, frage ich mich: Ist Ozempic auch für mich das richtige?“ Den sogenannten Off-Label-Use als Lifestyle-Medikament schätzt Dr. Kühne-Eversmann jedoch als bedenklich ein: „Für Diabetes-Patient*innen ist Ozempic ein lebensnotwendiges Medikament, das ihnen zurzeit nicht zur Verfügung steht, weil die Firmen mit der Produktion nicht hinterherkommen.“ Mittlerweile führen Apotheken darum Wartelisten. Zudem muss laut Hersteller Diabetes als Diagnose auf dem Privat-Rezept stehen, sonst wird das Medikament nicht mehr ausgehändigt. „Der Hersteller hat ein großes Interesse daran, dass das Medikament verkauft wird. Wenn er zu solchen Mitteln greift, sagt das viel über die aktuelle Lage aus“, so die Ärztin.

Kein langfristiger Erfolg 

Abnehmen ist mit Ozempic in kurzer Zeit möglich, 15 Prozent ihres Körpergewichts verlieren Anwender*innen im Durchschnitt in den ersten drei Monaten, sie nehmen allerdings nach Absetzen des Medikaments etwa zwei Drittel des verlorenen Gewichts wieder zu. Als Kickstarter für stark Übergewichtige verschreiben Ärzte Ozempic mittlerweile durchaus. Begleitet werden sollte eine solche „Kur“ zusätzlich von einer Nahrungsumstellung. Denn nach dem Absetzen – siehe oben – setzen Hungergefühl und Appetit wieder ein. Für alle, die gern essen, ist das Fluch und Segen zugleich.

Wir haben mit Julia K. (Name von der Redaktion geändert) gesprochen, die das Medikament aufgrund einer Erkrankung eingenommen hat und die schlimmsten Nebenwirkungen erlebte. 

MAISON MADAME: Warum haben Sie Ozempic angewendet?

Ich habe ein Dulaglutid verwendet, was zur gleichen Medikamentenklasse wie Ozempic gehört. Der Grund dafür war mein Lipödem. Trotz viel Sport und achtsamer Ernährung ist es für mich ein frustrierender und zermürbender täglicher Kampf, mein Gewicht zu halten. Die vom Lipödem betroffenen Fettzellen kann man nicht mehr abnehmen, was über die Jahre zu einer zunehmenden Deformierung des Körpers führt. Bei einem Kontrolltermin hat mir meine Lipödem-Ärztin von dem Medikament und den erfolgsversprechenden Erfahrungen mit Lipödem-Patient*innen erzählt, bei denen das Dulaglutid dabei geholfen hat, ihr Gewicht zu stabilisieren. Vor der Einnahme hat sie mich natürlich über die Nebenwirkungen aufgeklärt.

Wie hat sich Ozempic bei Ihnen ausgewirkt?

Ich hatte nur zwei Spritzen genommen, bis ich abbrechen musste. Ich hatte von Beginn an mit starker Übelkeit zu kämpfen, welche langsam abschwächte. Jedoch dauerte die enorme Appetitlosigkeit die ganze Zeit über an, sodass ich in keiner Sekunde Hunger verspürt habe, trotz intensiven Sporteinheiten und mehrerer Stunden ohne Essen. Es war für mich eine Überwindung zu Essen, da ich dabei sogar eine Art Ekel empfand. Gegen Ende der ersten Woche hatte auch die Appetitlosigkeit nachgelassen. Somit verabreichte ich mir wie geplant die zweite Spritze. Ein paar Stunden später erlebte ich den schlimmsten Brechdurchfall meines Lebens. Meine Freunde telefonierten mit meiner Ärztin, da ich selbst zu schwach dafür war. 48 Stunden später landete ich in der Notaufnahme, wo ich stabilisiert wurde. Nach drei Tagen konnte ich das Bett endlich wieder verlassen, ohne umzukippen. Danach habe ich das Medikament in Absprache mit meiner Ärztin nie wieder genommen.

Was passierte nach dem Absetzen des Medikaments?

Nach dem Brechdurchfall war ich extrem ausgemergelt und locker fünf Kilogramm leichter - ich sah fürchterlich aus. Anschließend trat ein starker Jojo-Effekt ein. Die fünf Kilogramm und etwas mehr waren innerhalb kürzester Zeit wieder drauf und ich verspürte sehr starken Hunger, als forderte der Körper die Kalorien wieder ein. Ich musste noch disziplinierter essen als davor und mein Körper reagierte mit einem panikartigen Hungerstoffwechsel, wodurch gefühlt jede Kalorie eingelagert wurde. Positive Effekte durch die Anwendung des Medikaments habe ich leider keine wahrgenommen.

Was denken Sie im Nachhinein über Ozempic?

Als von einer Krankheit Betroffene, macht es mich manchmal kurz etwas bitter, wenn „gesunde“ Menschen ein Medikament nehmen, um damit abzunehmen. Oft sind es sogar Menschen, die eh schon eine tolle Figur haben. Unsere Gesellschaft ist so feindlich gegenüber Übergewichtigen, egal ob man krank oder gesund ist, worunter alle Betroffenen leiden. Ich kenne den seelischen Schmerzen sehr gut und kann mich mit jedem identifizieren, der versucht, damit abzunehmen. Was ich jedoch gar nicht in Ordnung finde ist, dass es zu Lieferengpässen für Diabetiker*innen kommt, die auf Ozempic angewiesen sind und denen ohne das Medikament Organschäden drohen. Ihre Versorgung muss unter allen Umständen sichergestellt werden. Und ich hoffe, dass unsere Gesellschaft endlich verständnis- und rücksichtsvoller wird.

Ihr Rat an alle, die per Spritze abnehmen wollen?

Ich rate anderen, Ozempic oder ähnliche Medikamente wirklich nur nach gründlicher Abklärung und in enger Absprache mit einer Ärztin oder einem Arzt zu nehmen, da die Nebenwirkungen aus eigener Erfahrung sehr heftig sein können. Leider habe ich unterm Strich sogar zugenommen.

Dr. med. Lisa Kühne-Eversmann, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie

Das Lipödem ist eine Störung der Fettverteilung, bei der es zu einer unkontrollierten Fettvermehrung vor allem an Beinen, Hüften, Gesäß und in einigen Fällen auch an den Armen kommt.