Das sind vielleicht nur die Hormone

Ein Essay von Bianca Lang-Bognár

Midlife-Chance statt Midlife-Krise (Foto: Adriano Russo)

Bei unserer Autorin brachte erst der Buchtipp einer Freundin Licht ins perimenopausale Dunkel

Ich wollte wirklich nie einen Text schreiben über die Wechseljahre. Das Thema machte mir schlechte Laune, so unsexy, so alt, so ungerecht. Doch auf einmal war es da, in fast jedem Gespräch mit Freundinnen. Und immer wieder ging es um dieses Buch „Women on fire“ von der Frauenärztin Dr. Sheila de Liz. Schon der Titel – eine wortgewordene Hitzewallung – und die will keiner, der je Frauen in der sogenannten Lebensmitte beobachtet hat, wie sie hektisch anfangen, sich Luft zuzufächern und vom schönsten Kaminfeuer die Flucht ergreifen. Dazu der Untertitel: „Alles über die fabelhaften Wechseljahre.“ Ich konnte nichts Fabelhaftes daran erkennen. Mein Frauenarzt winkte ebenfalls nur ab, alles noch normal, kein Grund zur Sorge. Doch das Thema machte sich weiter breit. Ich saß wieder mit zwei Freundinnen zusammen, die von ihren Erweckungs-Erlebnissen bei der de-Liz-Lektüre berichteten. Eine der beiden sah mich mitleidig an und sagte: „Bitte lies es. Tue es für mich.“


Am nächsten Morgen startete ich bei meiner Joggingrunde. „Du hast dieses Hörbuch wahrscheinlich ausgewählt, weil du in den Wechseljahren bist,“ lautet der erste Satz. Mein Tag war gelaufen. Ich wollte gar nichts wechseln. Aber ich lief weiter, jeden Morgen, bis ich am Ende war. Mit dem Bestseller. Und mit meiner bisherigen Wahrheit. Man muss das Buch und seine Sprache nicht mögen, aber sein Ton, diese heitere, so gar nicht schlecht gelaunte Art gefiel mir, ganz ohne Scham über die Menopause zu fachsimpeln, die Generationen von Frauen still durchlitten haben. Und die hier nicht als Lebensphase beschrieben wird, in der alles aufzuhören beginnt, sondern in der etwas Neues startet. Wie jede Frau zwischen 40 und Mitte 50 erkannte ich mich in vielen wieder. Das ewige Kümmern um andere, die Erschöpfung durch die Doppelbelastung Beruf und Familie, die Verzweiflung, die Schlaflosigkeit und das - wie es im Buch so treffend heißt „PMS des Grauens“. Das war ich. Bei meiner letzten Joggingrunde rief eine Schulfreundin heulend an und sagte: sie könne nicht mehr, sie wolle ihren Mann verlassen. Sofort. Ich antworte: „Bitte, lies vorher das Buch. Das sind vielleicht nur die Hormone. Das fehlende Progesteron.“

Aufgeschlaut und wütend saß ich vor meinem Frauenarzt. Er hatte mich hervorragend durch zwei Schwangerschaften begleitet, aber diese große Hormonumstellung nun, die so viele Jahre länger dauert, vernachlässigt, obwohl es eindeutige Anzeichen gab. Ich beschimpfte ihn und heulte. Er schaute besorgt und verschrieb sofort Hormonpräpate. Ich versuchte zunächst Mönchspfeffer und diverse Nahrungsergänzungsmittel, beschäftigte mich mit Therapiemöglichkeiten, sprach darüber und verstand die Veränderung mehr als mich gegen sie zu wehren. Es ist der Hormonmangel, der schlechte Laune macht, und nicht etwa ein schlechter Charakter. Mangel ist ausgleichbar, Veränderungen lernbar.

Die Wut wich allmählich der Akzeptanz. Eine Spezialistin ersetzte den bisherigen Frauenarzt, Nach einer 12-seitigen Anamnese, analysierte sie im engen lila Minikleid statt im weißen Kittel ausführlich den Hormonstatus und untersuchte mich mit einer Unbefangenheit und Offenheit, die ich bis dahin nicht kannte. „Für mich gibt es nichts Spannenderes als die Gynäkologie“, sagte sie. Ich fühlte mich gut, aufgehoben und – ja, Women-on- fire-mäßig angefeuert. Nicht alt, sondern eher alt genug für die nächste Etappe mit weniger Kompromissen und alten Denkmustern, dafür mit mehr Freiheit und Aufmerksamkeit für mich selbst. Meine Kinder sind mittlerweile Teenager, ich stecke nicht mehr in so vielen Zwängen. Und was andere von mir denken, ist mir auch nicht mehr so wichtig.


Ich habe vieles probiert seither, Cremes und Kapseln, Koffein- und Alkoholabstinenz, Microdosing, Tantra und Meinungsdetox, eine Laserbehandlung und einiges mehr. Alles interessant, das meiste hilfreich, um wieder ein gutes Gefühl für sich selbst zu bekommen. Um Neues zu wagen. Midlife-Chance statt Midlife-Krise.

Kürzlich traf ich einen Bekannten, er ist wie ich 49 Jahre alt, beruflich sehr erfolgreich, hat mehrere Kinder. Mit der Mutter der älteren lebt er harmonisch getrennt zusammen. Mit der Mutter des jüngsten reist er viel, geht auf Festivals, Ausstellungen, sucht ständig nach Inspiration und Futter für sein Bewusstsein. Er sagt „Alter ist auch nur eine Entscheidung – und ich habe mich dagegen entschieden.“ Manche halten ihn für einen Spinner, ich halte ihn für einen glücklichen Mann. Und ich sehe insgesamt wenig Glück in dieser Lebensphase, wenig Neugier auf Neues. Viele Männer sind stumpf geworden, viele Frauen meckern nur noch, nicht wenige Ehen sind eingeschlafen so wie das Sexleben. Er fragte mich, ob es in letzter Zeit einen „Gamechanger“ für mich gegeben habe. Ich erzählte ihm von einer Begegnung mit Uschi Obermaier, der Ikone der 68er-Bewegung, die mit 75 Jahren so lebendig und sexy auf mich wirkte wie eh und je. Und von „Women on Fire“. Er hat es gelesen, mich danach angerufen und gefragt: Gibt es das auch für Männer?

„Alter ist auch nur eine Entscheidung – und ich habe mich dagegen entschieden.“

"Women on Fire", von Sheila de Liz