Bergdoktor-Sog, der (m.)

Ein Essay von Eva Meschede

Es war einmal immer wieder samstags (Illustration: Hassan Kerrouch)

Arztromane sind so gestern. Trotzdem ist es möglich, dass einem ein österreichischer McDreamy den Kopf verdreht

Wie kann es sein, dass Arztromane Frauen auch heute noch in ihren Bann ziehen? Frauen, die kein Buch von Jonathan Franzen verpassen, die Filme wie die „Schachnovelle“ Komödien wie „Marry me“ vorziehen, die Theaterabos haben und denen ­Feminismus ein ernstes Anliegen ist. Ich frage das nicht für eine Freundin. Es hat mich erwischt. In ­einem der tiefsten Corona-Täler, Samstag (!), 19.20 Uhr, man durfte nicht ausgehen, die neuesten Romane hatte ich gelesen, alle Netflix-Serien gebinged. Ich schaltete das verstaubte, lineare Dingsbums ein, zappte wie im vergangenen Jahrhundert durch Programme – und landete bei „Der Bergdoktor“.

Seit 15 Jahren läuft diese erfolgreiche Serie bereits. Der Bergdoktor ist so etwas wie ein Dr. McDreamy (Patrick Dempsey) aus der US-Serie „Grey’s Anatomy“, nur im ZDF, verkörpert vom österreichischen Schauspieler Hans Sigl. Anders als der amerikanische Traumarzt darf der öffentlich-rechtliche Doktor Gruber einen Bauch haben und seine Stirn in viele Falten legen. Er ist weniger ein Gott in Weiß, sondern einer in Jeans, Lederjacke und rustikalem Schuhwerk, denn er praktiziert nicht in Seattle, sondern in der Tiroler Gemeinde Ellmau vor der Kulisse des wahnsinnig gut aussehenden Wilden Kaisers. Die Basteiheft-Serie „Dr. Burger, Schicksale zwischen Tal und Gipfel“ soll Vorlage sein. Doktor Gruber hat einen alten grünen Mercedes, rettet Einheimische wie Touristen, weil er seltenste Krankheiten diagnostiziert und jenseits aller Krankenkassen-Diktate behandelt. Für seine Patient*innen hat er immer guten Rat, sein eigenes Leben ist Chaos. Frauengeschichten, Familien-dramen, ständig in Gefahr: die Heimat, der idyllische Bergbauernhof am Söller Bromberg, wo der Doktor mit Mutter, Bruder und Tochter wohnt. Sie sehen schon, es wurden ein paar Bergdoktor-Episödchen bei mir.

Irgendwann war es wieder Samstag, seit kurz nach 19 Uhr hatte ich „Patience“ von Take That vor mich hin gesummt, den Titelsong des Doktor-Dramas. Dann der Schock: kein „Bergdoktor“. Wie sollte ich jetzt erfahren, wie es in der On-&-Off-Beziehung mit Anne weitergeht? Und ob die Bergdoktor-Mutter mit Onkel Ludwig durchbrennt? Und überhaupt: Wie war ich mitten in einen Arztroman geraten? Ich liebe Berge. Der Kulisse der Alpen können sich viele schwer entziehen, es treiben sich da nämlich einige TV-Helden herum: „Die Bergretter“, „Die Bergpolizei“ etc. Inmitten dieses strahlenden Ambientes war mir die Bergdoktor-Familie mit ihren seltsamen Problemen ans Herz gewachsen. Nie wurde bei ihnen alles gut, aber auch nie alles richtig schlimm. So etwas kann beruhigend sein. Sehr beruhigend.

Meine Recherche nach dem verschwundenen „Bergdoktor“ ergab schließlich: Samstags laufen nur Wiederholungen. Die neuen Staffeln gibt es donnerstags. Da habe ich jetzt aber wirklich Besseres zu tun. Ich werde das nicht in der Mediathek streamen. Soweit kommt’s noch! Oder? Patience.

Autorin Eva Meschede findet Köche eigentlich sexyer als Ärzte. Des­wegen guckt sie auch noch die ein oder andere Kochshow – aber natürlich nur, wenn es gerade kein wichtiges Buch zu lesen gibt.