Achtung, wütende Frau auf der A1 Richtung Bremen

Ein Essay von Bettina Billerbeck

Sehen selten so elegant aus: weibliche Wutanfälle (Foto: Freddy Persson)

Wenn das Progesteron zum Lachen in den Keller geht, sind Ausraster nicht ausgeschlossen

Eine der besonders irritierenden Begleiterscheinungen des Hormonsturzes ab Mitte 40 ist peinlich und wohltuend zugleich: der Wutanfall. Man meint ja immer, ab einem gewissen Alter setze die Gelassenheit ein und die Seele fülle sich mit Demut und Contenance. Wer das glaubt, ist noch nicht auf der Autobahn zehn Zentimeter vor mir ausgeschert, ohne zu blinken. Ich schreie dann „F*cker!“ durch die Windschutzscheibe.

Zum Glück reise ich kaum noch mit dem Flugzeug, früher konnten mich auch Menschen, die ihre 400-ml-Flasche Schauma Shampoo durch die Airport Security argumentieren wollten, auf die Palme bringen. Ich habe mich mal im Jahr 2017 mit einem sehr guten Freund unter Tränen (ich zumindest) darüber gestritten, ob das von Ariana Grande initiierte „One Love Konzert“ zugunsten der Opfer des Terroranschlags von Manchester ein großherziges Engagement einer sehr jungen Künstlerin (meine Meinung) war oder reines Marketing. Da war ich Mitte 40 und hatte noch keine Ahnung, dass merkwürdige Ausbrüche eine Begleiterscheinung der Perimenopause, also der frühen Phase der Wechseljahre, sind.

Apropos Marketing: Meine Freundin N. wurde einmal zum Tornado-Rumpelstilzchen zwischen lauter Digital-Hipstern in den Hamburger Messehallen, weil sie 499 Euro für eine Eintrittskarte ausgegeben hatte, die ihr weder einen pünktlichen Zugang zur Veranstaltung noch Plätze in den reservierten Kursen garantierte. Sie muss cartoon-artig getobt haben, jedenfalls bekam sie umgehend ihr Geld zurück, wahrscheinlich hat man es ihr aus sicherem Abstand in einem Leinensack zugeworfen. Meine Kollegin P. ist in vier Sekunden auf 180, wenn mittelalte Männer jammern, mittelalte Männer bekämen keine guten Jobs mehr, weil jetzt alle Führungspositionen ja nur noch mit Frauen besetzt würden, mimimi. Ich teile diesen Trigger leidenschaftlich und kann mich bühnentauglich darüber aufregen, wenn mir branchenfremde oder (schlimmer noch) branchenverrentete Menschen meine Branche mansplainen.

Natürlich ist eine kurze Lunte erstens angeboren und zweitens Tagesform, und man darf auch nicht alles auf die Wechseljahre schieben (Hunger zum Beispiel ist auch ein erstklassiger Brandbeschleuniger, fragen Sie mal meine Schwester). Aber es macht sich durchaus bemerkbar, wenn sich das Chill-Hormon Progesteron in den Keller verabschiedet: in Form von Wutausbrüchen, PMS-artig schlechter Laune – und sogar depressiven Verstimmungen, die viele Ärzte bei U-50-Jährigen nicht mit den Hormonen in Verbindung bringen und daraufhin lockerflockig Antidepressiva verschreiben („Da krieg ich ja schon wieder soooo 'ne Krawatte!“ würde meine Freundin A. jetzt rufen).

Wie hoch der eigene Leidensdruck ist und wie man sich selbst helfen möchte, muss jede Frau selbst entscheiden. Aber man sollte den Zusammenhang von Wut und Hormonen unbedingt kennen – und darüber reden. Mit Freundinnen und Kolleginnen, mit dem Partner und mit pubertierenden Kindern. Gerade die frühe Phase der Wechseljahre betrifft nicht nur einen selbst, sondern auch das gesamte Umfeld. Es darf nichts zu Bruch gehen, weil ein völlig natürlicher körperlicher Prozess einsetzt. Weder die Ehe noch der handbemalte Käseteller aus Frankreich.

„Zum Glück reise ich kaum noch mit dem Flugzeug, früher konnten mich auch Menschen, die ihre 400-ml-Flasche Schauma Shampoo durch die Airport Security argumentieren wollten, auf die Palme bringen“